Bernd Hunger, Heike Liebmann, Urs Kohlbrenner, Friedemann Kunst, Erik Wolfram unter Mitwirkung von Jörn Ehmke und Ina Zerche, Landesgruppe Berlin-Brandenburg
1) „Alltagstauglichkeit“ im Wohnquartier lässt sich anhand objektiver Kriterien beschreiben, enthält aber auch subjektive Aspekte, die durch die konkrete Situation und Lebenslage (alleinerziehend, arbeitslos, geflüchtet…) bestimmt werden. Es kommt darauf an, möglichst viele Ansprüche zu sehen und zu berücksichtigen.
2) Ein lebenswertes Quartier muss auch „sonntagstauglich“ sein. Das soll heißen, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner dort heimatlich fühlen können, aber auch, dass das Quartier auch für die Gesamtstadt einen Wert darstellt. Dazu braucht das Quartier ein eigenes Profil, vermittelt über eine Besonderheit seiner öffentlichen Räume, der städtebaulich-architektonischen Gestaltung oder einer Infrastruktureinrichtung.
3) Die bestehenden Großsiedlungen sind nach (gesellschaftlichen und städtebaulichen) Leitbildern gebaut, die heute nicht mehr aktuell sind und sich voraussichtlich auch in Zukunft noch ändern werden. Beim Umbau muss eine möglichst große Anpassungsfähigkeit an aktuelle und künftige Veränderungen angestrebt werden.
4) Die aktuell erlebte dynamische Veränderung von Rahmenbedingungen und politischen Zielen, die für die „Alltagstauglichkeit“ relevant sind, wird sich fortsetzen (Demographie, Migration, Klimawandel, Technologie/Digitalisierung…)
5) Die städtebaulichen und baustrukturellen Merkmale von Großsiedlungen (kompakte Bauten, großzügige, teils umnutzungsfähige Freiräume und Gebäude, serielle Bauten) bieten überwiegend gute Voraussetzungen für eine Anpassung an die aktuellen und erwartbaren Rahmenbedingungen und Ziele. Die „Dinosaurier“ von heute haben das Potential für die Zukunftsquartiere für morgen.
6) Großsiedlungen werden überwiegend Wohnquartiere bleiben. Die Flächenreserven für funktionale Ergänzungen zur nutzungsgemischten Stadt sind in der Regel begrenzt und werden prioritär zur Ergänzung von Einrichtungen des Gemeinbedarfes, auch zur Differenzierung des Wohnungsangebotes benötigt.
7) Großsiedlungen erbringen große Integrationsleistungen, werden aber bei der aktuellen Lage am Wohnungsmarkt und der zunehmenden sozialen und ethnischen Segregation schnell zum Austragungsort von Konflikten. Zur Aufrechterhaltung der Integrationsfähigkeit und des sozialen Friedens ist eine soziale Mischung der Bewohnerschaft auf Quartiersebene unerlässlich. Es sind wirksame Instrumente zur Steuerung der Wohnungsbelegung erforderlich.
8) Das Angebot an Kindereinrichtungen, Schulen, an sozialer Betreuung, an Gelegenheiten für Freizeit und Kultur muss in den Großsiedlungen, die die größten Integrationsleistungen im Vergleich zu anderen Stadtstrukturtypen schultern, am besten sein.
9) Formate der Öffentlichkeitsbeteiligungen müssen geeignet sein, auch den „stillen“ Teil der Bewohnerschaft anzusprechen. Die Erfahrung von Mit-Wirkung und Selbstwirksamkeit ist eine Voraussetzung für die Akzeptanz von Veränderungen und die Aneignung von räumlichen Strukturen.
10) Die „kritische Infrastruktur“ (Elektrizität, Wärme, Wasser, digitale Infrastruktur) in den Großsiedlungen bedarf weit stärkerer Betrachtung, da sie durch extreme Wetterlagen, Sabotage (im Extremfall auch kriegsbedingte Ereignisse) leichter verwundbar/weniger resilient ist als die Infrastruktur in kleinteiligeren, heterogeneren Siedlungsstrukturen.
11) Zur Herstellung und dauerhaften Sicherung der „Alltagstauglichkeit“ in den Quartieren von Großsiedlungen sind eine höhere und dauerhafte politische Aufmerksamkeit, Änderungen in der Förderpolitik des Bundes und der Länder (ressortübergreifende Abstimmung und Bündelung der Förderprogramme) sowie ein stärkerer Beitrag stabiler Quartiere außerhalb von Großsiedlungen beim Bau geförderter Wohnungen erforderlich.