Dierck Hausmann, Landesgruppe Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland
Environmental Zones, Eyes on the Street, Rufbusse, autonomes Fahren, Drohnen und Flugtaxis
Eine persönliche Zwischenbilanz zur Entwicklung alter und neuer Mobilität im Quartier
Bei der Frage was die Vorstellungen über Mobilität und öffentlichen Raum aus den vergangenen Jahren gebracht haben, wo sie erfolgreich waren, wo sie gescheitert sind, was die neuen Mobilitätsformen und der Umgang mit Straßen und Quartiersplätzen in den nächsten Jahren bringen werden und worauf wir uns einstellen müssen, sollen drei Punkte vorangestellt werden:
- Zwischen Raum- und Siedlungsstrukturen bestehen enge Wechselwirkungen
- räumliche und funktionale Nutzungsmischung ist wichtige Voraussetzung für lebendige und nachhaltige Städte und Quartiere
- Mängel bei der Raum-und Siedlungsstruktur im Hinblick auf Mobilität und Verkehr lassen sich nachträglich nur unzureichend „reparieren“.
Die Punkte sind von grundlegender Bedeutung und bilden den Rahmen für die folgenden Ausführungen.
I. Was haben die Konzepte aus den 1960-er und 1970-er Jahren gebracht?
Mobilität und Stadtraum erfuhren in den 1960-er und 1970-er Jahren eine neue Ausrichtung.
Der 1963 veröffentlichte Buchanan-Report forderte für schützenswerte Bereiche („environmental zones“) restriktive Kapazitäts- und Geschwindigkeitsbegrenzungen für den Autoverkehr, um den Straßenraum für Fußgänger sicherer und attraktiver zu machen. Der Autoverkehr wird in Ringen um diese Zonen herumgeführt, ein Durchfahren mit Sackgassen verhindert, das Parken im öffentlichen Raum verboten bzw. stark eingeschränkt. (1)
Der Buchanan-Report unterscheidet zwischen „beliebigem Autoverkehr“ (Verkehr, der unterlassen oder mit anderen Verkehrsmittel durchgeführt werden könnte, Verkehr der Berufstätigen und der Einkaufenden) und „notwendigem Autoverkehr“ (Wirtschafts- und Geschäftsverkehr, Liefer- und Busverkehr). Um den beliebigen Verkehr zurückzudrängen hält es der Report für am dringendsten, am Parkproblem anzusetzen, und am wirksamsten, einen guten und vor allem billigen öffentlichen Verkehr (ÖV) einzurichten.
Anders als oft rezipiert, befasst sich der Report nicht nur mit Neubaugebieten, sondern auch mit dem Bestand und stückweiser Bebauung. Ebenso werden Mischverkehrsflächen und nicht nur das Trennungsprinzip im Auto- und Fußgängerverkehr behandelt.
Der erste Superblock wurde 2017 eingerichtet, 2021wurde dann beschlossen, 21 weitere Straßen umzubauen. Zentrale Gestaltungselemente sind graphisch und farbig behandelte Gehweg- und Platzoberflächen, Neuordnung der Parkierungsflächen, Sitz- und Spielplatzmöbel, Entsiegelungen und Bepflanzungen. In der angrenzenden Bebauung soll eine gemischte Nutzung von Gewerbe und Wohnen erhalten oder gefördert werden. Um die ansässigen Bewohner vor Gentrifizierung zu schützen, setzt die Stadt darauf, Superblocks möglichst großflächig anzulegen, die Vermietung von Wohnungen wo irgend möglich zu regulieren und für den Alltag notwendige Dienstleistungen in max.10 Minuten erreichbar zu halten. Von der Bestandsaufnahme bis zur Umsetzung der Maßnahmen beteiligt die Stadt alle Interessengruppen. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere die Reduzierung der Verkehrsflächen des ruhenden und fließenden Autoverkehrs Kritik auslöst und einen hohen Kommunikationsaufwand erfordert.
Ungeachtet dessen erfreut sich das Superblockkonzept breiter Zustimmung und Verbreitung. Allein in Berlin haben Bürger viele Initiativen für Superblocks gegründet und mehrere Bezirke haben die Umsetzung von Superblocks beschlossen. Auch in verschiedenen anderen deutschen Städten gibt es Aktivitäten zur Einrichtung von Superblocks. In Frankfurt am Main setzen sich aktuell zwei Bürgerinitiativen für Superblocks in citynahen Stadtteilen ein (Bockenheim und Bornheim), die Stadt prüft dies für drei Gebiete.
II. Worauf müssen wir uns einstellen?
Digitalisierung und künstlicher Intelligenz (KI) werden in den nächsten 10 bis 20 Jahren merkbare Auswirkungen auf Mobilität und öffentlichen Raum haben. (8) Das Wachsen des Online-Handels wird den Lieferverkehr weiter steigern und On-Demand-Verkehre (Rufbusse ohne feste Haltestellen, die Passagiere an ihrem aktuellen Standort abholen und an ihrem Zielort absetzen) werden an Bedeutung gewinnen, v.a. in weniger dicht bebauten suburbanen Bereichen und im ländlichen Raum. Zunehmen werden auch automatisierte Fahrzeuge. Strittig ist die Zukunft von Drohnen und Flugtaxis im städtischen Raum, weil hier noch viele Fragen nicht geklärt sind.
III. Autonomes Fahren
Automatisierter Verkehr ist in Deutschland seit 2021mit dem „Gesetz zum autonomen Fahren“ geregelt. (9) Es erlaubt in festgelegten Betriebsbereichen selbständig fahrende Autos mit autonomer Fahrfunktion (SAE-Level 4 Autonomer Modus: Fahrzeuge können selbständig fahren, ohne dass die Fahrer übernehmen können müsse). (10) Im Rhein-Main-Gebiet hat der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) 2019 mit lokalen Partnern das Projekt „EASY“ (Electric Autonomus Shuttle for You) gestartet, um autonome Fahrzeuge in den öffentlichen Nahverkehr zu integrieren. Dazu wurden mehrere Testgebiete festgelegt: u.a. im Frankfurter Stadtteil Riederwald mit Tempo 20 km/h und in der Testphase mit Operator an Bord. 2024 startet das Projekt „KIRA“ (KI-basierter Regelbetrieb autonomer On-Demand-Verkehre) in Teilen der Stadt Darmstadt und des Landkreises Offenbach. Es soll perspektivisch flächendeckend ausgebaut werden. (11)