Baggersee statt Ballermann – Erholung vor der Haustüre (Zur Bedeutung siedlungsnaher Freiräume)

Die Krisen der letzten Jahre haben offenbart, wie trügerisch der Gedanke ist, dass einem die Welt offensteht. Mit der Pandemie kam die grenzenlose Mobilität vorübergehend zum Stillstand. Zurückgeworfen auf die eigene Wohnung und das unmittelbare Lebensumfeld erwachte bei den Menschen eine neue Wertschätzung und Identifikation mit der heimischen Natur und Landschaft. Deutlich wurde, wie wichtig siedlungsnahe Erholung für die Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Gesundheit ist, gerade in Räumen mit hohen Siedlungsdichten und wenig privaten Freiflächen. Gleichzeitig lässt sich ein zunehmendes Bewusstsein für einen eigenen Beitrag zum Schutz des Klimas feststellen, was sich auch in einer erhöhten Nachfrage nach nachhaltigen und klimaschonenden Reiseoptionen niederschlägt. Gründe genug also, darüber nachzudenken, wie die Landschaft vor der eigenen Haustüre zum Erholungsort werden kann.

Damit wächst der Qualitätsanspruch an die Entwicklung und Gestaltung von Freiraum und Landschaft, um langfristig und dauerhaft attraktive und erreichbare Naherholungsangebote im Siedlungsumfeld zu schaffen, insbesondere vor dem Hintergrund der erwarteten Zunahme von Hitzeereignissen und höheren Siedlungsdichten in urbanen Gebieten. Damit verbunden ist einerseits ebenso die Lenkung der Naherholung in regionalen Freizeit- und Erholungsräumen, um Übernutzungen zu vermeiden, und andererseits die öffentliche Erreichbarkeit zu sichern, im Sinne der Umweltgerechtigkeit und um CO2-Emissionen durch Reise- und Freizeitverkehr zu mindern.

Die Zukunft der Regionen ist eng daran geknüpft wie diese verschiedenen, teils konkurrierenden Bedarfe und Interessen in Einklang gebracht werden auf dem Weg zu produktiven, nachhaltigen und klimaresilienten Städten und Regionen.

Grundsätze

Um diese Ziele zu erreichen, gelten folgende übergreifende Grundsätze

  • Freiraum und Landschaft, aber auch Naherholung machen nicht an Grenzen Halt und müssen raumübergreifend und integriert entwickelt werden.
  • Knappe Freiflächenpotenziale und begrenzte Erweiterungsmöglichkeiten erfordern es, die ganze Region als Bewegungsraum zu denken.
  • Freiraum und Landschaft dürfen nicht nur als eine von Bebauung freigehaltene Fläche verstanden und gesichert, sondern müssen aktiv entwickelt und gestaltet werden. Ein bedeutendes Entwicklungspotenzial stellen die Siedlungsränder am Übergang zur Landschaft dar.
  • Mit zunehmender Dichte gewinnt die Qualität öffentlicher Freiräume im Innenbereich und Landschaft im Außenbereich an Bedeutung – eine quantitative Bereitstellung reicht nicht aus.
  • Ein funktionierendes Ökosystem bildet eine wichtige Grundlage, deswegen muss die Stärkung der Biodiversität und ökologische Aufwertung immer mitgedacht werden.
  • Landschaft als Erholungsraum sollte auch die attraktive Verbindung von Wohnen, Arbeiten und Landwirtschaft ermöglichen, um die Lebenswelten über kurze Wege miteinander zu verbinden.

Entwicklungsstrategien

  • es braucht mehr Dialog über Landschaft, mehr Austausch über gemeinsame Werte und Qualitäten, aber auch Kontroversen, um eine fruchtbare Debatte zur Weiterentwicklung der Landschaft anzustoßen und die gesellschaftliche wie politische Wertschätzung zu erhöhen.
  • es braucht innovative Allianzen und Akteurskooperationen in Bezug auf Planung, Umsetzung, Trägerschaft und Finanzierung; insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft mit stark individualisiertem Freizeitverhalten und knappen kommunalen finanziellen und personellen Ressourcen.
  • es braucht eine synergetische Verknüpfung bestehender planerischer und gesetzlicher Vorgaben, um vorhandene Ressourcen zu bündeln, z.B. Eingriff-/Ausgleichregelung
  • es braucht eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung der bestehenden Planungsinstrumente, die stärker als bislang den Nutzwert und umsetzungsorientierte Handlungsansätze in den Fokus stellen und formelle mit informelle Planungsinstrumente miteinander verzahnen.
  • es braucht mehr Qualitätsanspruch in der Gestaltung und Nutzung von Freiraum und Landschaft und mehr qualitätssichernde Instrumente.
  • es braucht mehr politischen Mut und Willen für interkommunale und interdisziplinäre Kooperationen im Bereich Freiraumentwicklung, um vorhandene finanzielle und personelle Ressourcen effizienter einzusetzen – dazu gehört aber auch, dass Planung in ihrer Rolle als Politikberatung entsprechende auf den Bedarf und lokale Möglichkeiten bezogene Vorschläge anbietet.
  • es braucht eine bessere Verknüpfung von Freiraum-/Erholungskonzepten mit regionalen oder kommunalen Mobilitätskonzepten, denn die Transformation von Freiraum und Landschaft geht mit der Mobilitätswende einher.
  • es braucht gleichermaßen vielfältige Angebote, als auch offene „Möglichkeitsräume“ für das immer stärker individualisierte Freizeitverhalten einer in zunehmend verstädterten Gebieten lebenden Bevölkerung.
  • es braucht eine ausgewogene Verteilung der Angebote, gute Erreichbarkeit und Zugänglichkeit sowie Vernetzung von Freiräumen im Hinblick auf mehr Umweltgerechtigkeit, als Beitrag für den Klimaschutz und den Erhalt der biologischen Vielfalt.

Erkenntnisse sind da – wir müssen ins Handeln kommen!

[Beitrag von Christine Baumgärtner, LG Baden-Württemberg]

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