Wie viel Flächenversiegelung braucht es im Quartier? Eine Untersuchung am Beispiel der Bremer Übersee-insel

Janina Gimbel, Studierende an der Hochschule Bremen

Beitrag aus dem Seminar „Quartiersforschung“ im Lehrgebiet „Theorie der Stadt“ an der School of Architecture Bremen, WiSe 2023/2024.

 

Fokusthema

Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie eine nachhaltige Quartiersplanung im Bezug zu der Bodenversiegelung in Städten aussieht. Fragestellungen, welche im Mittelpunkt stehen, sind hierbei, welches Maß an Bodenversiegelung oder -entsiegelung effizient ist, um öffentliche Plätze zuzulassen, aber auch die Biodiversität zu erhalten. Wie kann ein Kompromiss gefunden werden, zwischen den Bedürfnissen von Menschen und Tieren/Pflanzen. 

Entsiegelung als Beitrag zum Klimaschutz

In der Publikation „CO2-neutral in Stadt und Quartier – die europäische und internationale Perspektive“ vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wird die Versiegelung von Grünflächen direkt als Problemstellung thematisiert und als Faktor steigender Emissionen erwähnt.  So führe der hohe Flächenverbrauch in Städten und die damit zusammenhängende Flächenversiegelung zum Beispiel zu einer Undurchlässigkeit des Bodens. 

Das Ziel müsse es demnach sein, Treibhausgasemissionen anhand veränderter Raum- und Stadtentwicklungsstrategien zu senken. Dies schließe insbesondere die Entsiegelung von Bodenflächen, sowie die vorausschauende Planung, welche Flächen überhaupt versiegelt werden sollen, mit ein. Des Weiteren wird erläutert, dass auch urbaner Gartenbau, Dachbegrünung und die Ausweitung von Park- und anderen Grünzonen ein Bewertungskriterium für Umweltfreundlichkeit seien.  Alle dieser Maßnahmen haben laut BBSR einen positiven Einfluss auf die Dekarbonisierung der Städte, sowie verbesserte Boden- und Luftqualität.

 

Praxisbeispiel

Zum Prüfen der Umsetzbarkeit einer nachhaltigen Flächenentsiegelung möchte ich im Folgenden ein Praxisbeispiel heranziehen. Hierfür habe ich die Überseeinsel gewählt, da dort in der Quartiersplanung explizit auch ein Augenmerk auf Flächenentsiegelung gelegt wird. Im Folgenden begutachte ich die einzelnen Quartiere und Bauvorhaben der Überseeinsel in Hinsicht auf das Fokusthema und untersuche, welche Vorzüge sich hieraus für das Quartier ergeben sollen. Wurden die Ziele erreicht? Und ist die Überseeinsel repräsentativ für einen gelungenen, angemessenen Umgang mit der Versiegelung bzw. Nicht-Versiegelung von städtischem Boden? 

Abb. 1: Ein Entwurf des Architektenbüros Felgendreher Olfs Köchling für das Stephanitor. Quelle/©: flooer
Abb. 1: Ein Entwurf des Architektenbüros Felgendreher Olfs Köchling für das Stephanitor. Quelle/©: flooer

 

Die Überseeinsel Bremen

Die Überseeinsel wird seit 2018 mit dem Augenmerk auf Nachhaltigkeit entwickelt (s. Abb. 2). Auf dem Gelände des ehemaligen Kellog-Areals entstehen mehrere Quartiere mit industrieller Atmosphäre. Diese sind das Quartier Stephanitor, die sogenannten Kellog-Höfe, sowie der Kellog-Pier und weitere Einzelbauvorhaben wie u.a. eine Schule.

Eine Leitidee in der Quartiersentwicklung der Überseeinsel ist die Durchmischung von Nutzungen, wobei auch Freiflächen zwischen Arbeits- und Wohnflächen geschaffen werden sollen. Erklärtes Ziel ist es zudem, so wenig Fläche wie möglich zu versiegeln und viel neue Vegetation anzupflanzen – dies soll gemeinsam mit den Landschaftsplanungsbüro Man Made Land geschehen.  Wasserrückhaltebecken sollen Regenwasser auffangen und somit das Pflanzenwachstum fördern.

Ein Drittel der Überseeinsel soll grün werden, es sollen möglichst wenig Straßen und Parkplätze angelegt werden – stattdessen gibt es zentrale Quartiers- und Tiefgaragen. Auch die Fußwege sollen so schmal wie möglich sein, um Seitenbegrünung zu ermöglichen und zudem sollen sie wasserdurchlässig sein. Durch Sicherheitstreppenhäuser wird vor den Gebäuden an Feuerwehraufstellflächen gespart. 

Im Bereich der Gebäude selbst sollen Dachbegrünungen einen weiteren Beitrag leisten, allerdings stehen diese in Konkurrenz mit Photovoltaik-Anlagen: „In den Wohnbereichen sind Dachgärten zum Anbau von Kräutern oder Gemüse angedacht. Der Großteil der Dachflächen wird aber tatsächlich für die Stromproduktion benötigt. Begrünungen wird es geben, aber sie werden nicht stilgebendes Merkmal sein“, sagt Klaus Meier, Geschäftsführer der Überseeinsel GmbH.  Hier wäre wohl mehr Potential, Grünräume zu schaffen – allerdings ist die Nutzung der Dächer zur Stromproduktion ebenfalls sinnvoll und wichtig für die Nachhaltigkeit der entstehenden Quartiere. In der Selbstdarstellung der Entwicklungsgesellschaft heißt es dazu: „Rundherum loten wir auf 41 ha aus, wie Menschen heute und in Zukunft leben und arbeiten möchten: In vielfältigen, lebendigen Quartieren, mit Freiräumen für Begegnung, mit einer nahezu autofreien Infrastruktur und einem nachhaltigen Energiekonzept.“ 

Abb. 2: Visualisierung der städtebaulichen Gesamtplanung der Überseeinsel mit dem Kellogg-Areal rechts im Bild am Wasser gelegen. Quelle/©: ueberseeinsel.de
Abb. 2: Visualisierung der städtebaulichen Gesamtplanung der Überseeinsel mit dem Kellogg-Areal rechts im Bild am Wasser gelegen. Quelle/©: ueberseeinsel.de

Stephanitor

Im Stephanitor-Quartier sollen neben ca. 32.000 m² Gewerbeflächen auch ca. 9.000 m² Freiflächen entstehen, darunter private und halböffentliche Flächen.  Die Grünflächen umfassen Innenhöfe, Quartiersanger, Pocket-Parks und gemeinschaftlich genutzte Nachbarschafts- und Dachgärten. Am Rand des Quartiers liegt die Gemüsewerft. Ein Viertel ist bereits bepflanzt – 125 Beete stehen bereit, Besuchende in der ebenfalls bereits ortsansässigen Gastronomie zu versorgen. Verschiedene Bio-Gemüsesorten und Hopfen werden angepflanzt und bieten auch Insekten Nahrung und Lebensraum. Im westlichen Teil werden die Stephanitorhöfe mit drei Innenhöfen geplant: einem Hofgarten, einem Spiel- und einem Gewerbehof. Diese sollen von Bewohner:innen und Besucher:innen des Quartiers gemeinsam genutzt werden. Auch wenn hier keine genaueren Angaben vorliegen, wird der Hofgarten wohl einen größeren Beitrag zur Entsiegelung schaffen als die anderen beiden Höfe. Es wäre interessant zu wissen, ob diese auf den ersten Blick weniger „grünen“ Entwürfe ebenfalls mit dem Thema Entsiegelung verknüpft werden können – beispielsweise durch Fassadenbegrünung.

Diese soll nämlich bereits beim Mobility-Hub integriert werden, welches 14 Ebenen an Parkmöglichkeiten bietet, was zum autofreien Konzept beiträgt. Auch das Wohngewächshaus bekommt eine begrünte Fassade, zusätzlich zu einem Laubengang. Das 450m² große Gewächshaus soll für den Anbau verschiedener Gemüsesorten dienen und wird von den darunterliegenden Wohnungen mit Abluft und Abwärme versorgt.  Es handelt sich hierbei um einen etwas anderen Ansatz zur Dachbegrünung, doch auch hier wird Regenwasser und Abluft aufgenommen. Des Weiteren soll es vor dem Gebäude eine Streuobstwiese geben.

Ein weiteres Bauvorhaben mit Fassadenbegrünung ist das Bürogebäude Grøn. Diese umfasst ganze 1,3 km Länge und erhält einen Regenwasserspeicher für die Bewässerung. Auch ein 300m² großer Dachgarten mit Sträuchern, Bäumen, Gräsern und Kräutern gehört zum Konzept.

 

Kellogg-Höfe

Die Kellogg-Höfe werden mit drei neu gestalteten Frei- und Grünflächen geplant.  Leider ist nicht genauer ausgeführt, wie diese konzipiert werden, was jedoch auch daran liegen kann, dass die Planung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Des Weiteren ist auf der sogenannten Flakes-Fabrik ein Dachgarten geplant, welcher „als Garten, Spiel- und Sonnenfläche genutzt werden kann“ und das Kesselhaus soll mit einem „begeh- und belebbaren“ Hängegarten ausgestattet werden, welcher die beiden Gebäude verbindet.  Auch dieser ist leider nicht näher beschrieben, auf den Visualisierungen sieht es aber nach einer Art Fassadenbegrünung aus. 

Der Hansatorplatz wird als Sportplatz konzipiert, welcher per se versiegelt ist, hier werden jedoch als Ausgleich ringsherum Bäume gepflanzt. Auch die sogenannte „Kiezfuge“, eine „grüne Verbindung zwischen Europahafen und Weser“, wird für sportliche Aktivität konzipiert. Hier wird also mögliche Grünfläche versiegelt, um einen Mehrwert für die Bewohner des Quartiers zu erschaffen und die Bedürfnisse der Menschen demnach über die der Tiere gestellt. 

Am westlichen Rand der Kellogg-Höfe wird mit den Atelierterrassen ein weiteres Projekt umgesetzt. Das Dach des Gebäudes soll unter anderem Platz für Urban Gardening bieten. Ein Werk- und Wohnhof zwischen den Gebäudekomplexen soll mit üppiger Vegetation versehen werden.  Es wäre natürlich wünschenswert zu erfahren, ob es sich hierbei um abwechslungsreiche, blühende Pflanzen handelt, welche für die örtliche Biodiversität förderlicher wären, allerdings gibt es hierzu keine genaueren Angaben.

 

Kellog-Pier und Schule

Die in diesem Quartier bisher geplanten Projekte sind aktuell ohne Fassaden- oder Dachbegrünung geplant und auch zur Planung der Freiflächen erfährt man zu diesem Zeitpunkt keine Details. Die Visualisierungen zeigen jedoch große versiegelte Flächen und man sieht neben ein paar Bäumen wenig grün – was sehr im Kontrast zu den anderen beiden Quartieren steht.

In der Nähe der Schule soll jedoch eine 10.000 m2 große Streuobstwiese angelegt werden, „auf der Obstbäume wachsen, die Hopfenfänger-Dolden sprießen, Insekten wohnen und Schulkinder auf Forschungsreise gehen können“. 

 

Fazit

Die Überseeinsel hat viele interessante, teils unkonventionelle und zeitgenössische Ansätze, um einer Versiegelung städtischen Bodens entgegenzutreten und Entsiegelung zu ermöglichen. Mit einem Drittel ist ein großer Teil des Quartiers entsiegelt und die Grünflächen sollen auch sinnvoll genutzt werden. So gibt es beispielsweise mehrere Streuobstwiesen und Gemeinschaftsgärten. Durch die vielen verschiedenen Möglichkeiten, Obst und Gemüse anzubauen, wird auch für Insekten Lebensraum geschaffen und den Quartiersbewohnenden die Natur nähergebracht. Durch die zusätzliche Begrünung von Dächern und Fassaden kann noch mehr Fläche genutzt werden, um Regenwasser und CO² aufzunehmen. Allerdings werden die Dächer vorrangig für Photovoltaik-Anlagen genutzt und, anstatt auf vermehrte Fassadenbegrünung zu setzen, wird diese nur für ausgewählte Projekte implementiert.

Da die Planung der Überseeinsel noch nicht abgeschlossen ist, gibt es teilweise auch noch keine genauen Angaben zur geplanten Bepflanzung der Grünflächen, was eine abschließende Evaluation erschwert.

Trotzdem kann man schon heute bestätigen, dass die Überseeinsel ein Positivbeispiel für eine grüne Quartiersentwicklung ist, besonders in den Bereichen des zukünftigen Stephanitor-Quartiers und der Kellog-Höfe. Es wird meiner Meinung nach eine gute Balance gefunden zwischen naturbelassenen Grünflächen und angelegten Freiflächen für die Quartiersbewohner. Im Laufe der weiteren Planung werden sicherlich noch interessante Ideen vorgestellt, welche als Inspiration für andere Quartiere dienen können.

 

Literaturverzeichnis:

1 Breuer, Bernd. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. 2013. Ziele nachhaltiger Stadtquartiersentwicklung. BBSR-Analysen KOMPAKT. [S.191]

2 Ebd. [S.53]

3 Ebd. [S. 124]

4 Ebd.  [S.225]

5 Überseeinsel GmbH, ohne Datum: Leitideen, https://www.ueberseeinsel.de/, Zugriff am 16.2.2024.

6 Überseeinsel GmbH, ohne Datum: Leitideen, https://www.ueberseeinsel.de/, Zugriff am 16.2.2024.

7 Wirtschaftsförderung Bremen, 2019: Investor Klaus Meier über seine Pläne für ein innovatives Stadtquartier in Bremen https://www.wfb-bremen.de/de/page/stories/stadtentwicklung-gewerbeflaechen-und-immobilien/interview-klaus-meier-ueberseeinsel, Zugriff am 16.2.2024.

8 Überseeinsel GmbH, ohne Datum: Leitideen, https://www.ueberseeinsel.de/, Zugriff am 16.2.2024.

9  Diese und alle nachfolgenden Projektangaben: Überseeinsel GmbH, ohne Datum: Projekte (Stephanitor), https://www.ueberseeinsel.de/, Zugriff am 16.2.2024.

10  Überseeinsel GmbH, ohne Datum: Projekte (Kellogg-Höfe), https://www.ueberseeinsel.de/, Zugriff am 16.2.2024.

11  Ebd.

12  Ebd.

13  Überseeinsel GmbH, ohne Datum: Projekte (Schule), https://www.ueberseeinsel.de/, Zugriff am 16.2.2024.


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