Auf die Bänke, fertig, los! Die Wichtigkeit von Kommunikationsräumen im Quartier

Luisa Metzgen, Studierende an der Hochschule Bremen

Beitrag aus dem Seminar „Quartiersforschung“, Lehrgebiet „Theorie der Stadt“, an der School of Architecture Bremen, WiSe 2023/2024

Was ist ein Quartier? – Ein Quartier ist weit mehr als eine feste, räumliche Gebietsbeschreibung, bestehend aus einem Gebäudeverbund, baustrukturellen Zusammenhängen und einer gemeinsamen Infrastruktur (vgl. Beckhölter, Schölzel, Zuschlag 2023:3). Vielmehr ist es ein gefühlter, sozial konstruierter Raum, der die Bezugsgröße für die Gestaltung des Lebensraums seiner Bewohner:innen bildet (vgl. Schnur 2014:43 und Willinger 2012:2 und 7). Dabei kann das Quartier „[…] kleiner als ein (administrativ abgegrenzter) Stadtteil, aber durchaus vielfältiger sein […] als ein Wohngebiet, das planungsrechtlich nur dem Wohnzweck dient“ (Alisch 2002:60). Man differenziert zwischen einem Kernbereich und Übergangsbereichen, die je nach persönlichen Anforderungen, Aktivitäten oder sozialem Status individuell definiert werden (vgl. Schnur 2021:13 und Willinger 2012:5): „Letztlich kann ein Areal also bereits dann als potenzielles Quartier gelten, wenn ein Bewohner dieses subjektiv für sich als solches empfindet.“ (Schnur 2008:80) Inwieweit sich Bewohner:innen dem Quartier zugehörig fühlen und als Akteur:innen interagieren, hängt von Faktoren wie Überschaubarkeit, Kommunikation, Sicherheit und Vertrauen im nachbarschaftlichen Gefüge ab (vgl. Willinger 2012:2).

Angebote für Kommunikation

Für mich persönlich steht der Faktor Kommunikation an vorderster Stelle, damit Vertrauen und Sicherheit im Quartier entstehen können. Ein gutes Beispiel für einen Kommunikationsraum als Schlüsselfaktor lässt sich in Form einer Sitzbank direkt vor meiner Haustür finden. Die Bank wurde 2016 von einem Nachbarn aufgestellt, der als Hauptinitiator für regelmäßige, teilweise spontane Treffen sorgt. Auf diese Weise findet viel Austausch statt, da die meisten Passant:innen für eine kurze oder längere Unterhaltung stehen bleiben oder freundlich grüßen. Die Sitzbank ist sommers wie winters Dreh- und Angelpunkt unserer Nachbarschaft und wir saßen dort schon in den verschiedensten Konstellationen, haben rumgeblödelt, gefeiert oder über das Leben philosophiert. Durch die Bank als Begegnungsraum fühle ich mich heimischer, behütet und zugehörig. Das Wissen, dass es in meinem Quartier einen Raum gibt, an dem ich mit Menschen Zeit verbringen kann, die mir Wertschätzung und Sicherheit entgegenbringen, empfinde ich als tröstlich. Der Sicherheitsaspekt spielt auch insofern eine Rolle, als, laut Aussage der Nachbarn, mit Aufstellen der Bank die Anzahl der Drogendeals in unserer Straße deutlich gesunken ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch die Bank die Qualität des Ortes, die Identifikation mit diesem und der nachbarschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden.

Foto: Luisa Metzgen
Foto: Luisa Metzgen

Orte für den Austausch

Denkt man die Sitzbank nun etwas größer und auf Quartiersebene, lässt sich erahnen, wie wichtig Orte des Austauschs für Stadtbewohner:innen sind. Denn im Quartier treffen täglich verschiedenste Lebenswelten aufeinander, was für die Bewohner:innen eine wertvolle Ressource zur Bewältigung ihres Alltags darstellen kann. Das Quartier bildet außerdem einen wichtigen Raum, in dem Gruppen erreicht werden können, die beispielsweise von Sprach- oder Bildungsdefiziten oder von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind (vgl. Schnur et al. 2013:9). Ein Stadtquartier kann also zur Identitätsfindung und Integration beitragen, oder diese unterbinden, jeweils abhängig von der Existenz von Treffpunkten, Kommunikations- und Kulturräumen, frei gestaltbaren Räumen und sozialen Einrichtungen (vgl. Waltz 1997:656): „Städtischer Raum ist der entscheidende Integrationsrahmen für die Annäherung der Kulturen und Konfliktaustragung.“ (Waltz 1997:656)

Stadtgeschichten waren seit jeher von Migration geprägt. Die Vielfalt an Kulturen und Lebensstilen prägt das Zusammenleben in städtischen Räumen. Ganz besonders in Zeiten, in denen Rechtspopulismus wieder salonfähig wird, ist Dialog wichtig für das Zusammenleben in Vielfalt und um für Chancengleichheit, Teilhabe, Partizipation und Zugehörigkeit zu sorgen (vgl. Willinger, Hackenberg 2021:5). Integrationspolitisches Handeln sollte sich an alle Bürger:innen richten, um Chancengleichheit zu ermöglichen und strukturelle Ausschlüsse zu vermeiden (ebd.).

Aufgabe der Kommune ist es, dass sie Ressourcen räumlich und sozial so einsetzt, dass alle Menschen, unabhängig ihrer Herkunft oder ihres sozialen Status, die gleichen Lebenschancen erhalten (vgl. Waltz 1997: 656). Daran knüpft auch das Bremer Landesprogramm „Lebendige Quartiere (LLQ)“ an, ein Förderprogramm für soziale Stadtentwicklung und nachhaltige Quartiersentwicklung in Bremen und Bremerhaven (Freie Hansestadt Bremen, o.D.). Ein zentraler Schwerpunkt des LLQ liegt auf der Unterstützung von Nachbarschaften durch das Schaffen von sozialer Infrastruktur, die den Zusammenhalt in beiden Städten stärken soll. Das Quartier wird im LLQ als soziales Gefüge verstanden. Ein lokales Quartiersmanagement versucht, möglichst nah an den Bewohner:innen zu sein, um die Förderung gezielt dort anzusetzen, wo sie benötigt wird und so einen Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten. Ein weiteres Ziel des Programms ist es, präventiv gegen Armut im Land Bremen vorzugehen.

Bei der Bewertung von Förderanträgen im Rahmen des LLQ werden verschiedene Kriterien berücksichtigt, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen einen positiven Beitrag zur Quartiersentwicklung leisten. Dazu gehören beispielsweise das Schaffen von wohnortnahen und niedrigschwelligen sozialen Angeboten, Beiträge zur Stärkung von Nachbarschaften durch gemeinsame Aktivitäten, Veranstaltungen und Projekte, sowie die Unterstützung lokaler Initiativen (vgl. Freie Hansestadt Bremen, 2022).

Was braucht es?

Dies schlägt nun den Bogen zu unserer Nachbarschaftsbank, die als Idee keineswegs einzigartig ist. Im Hansa Carré, einem Einkaufszentrum im Stadtteil Hemelingen, steht auf einem Teppich aus Kunstrasen ebenfalls eine Bank, die offenbar als Kommunikationsraum für das Quartier bzw. den Stadtteil Hemelingen fungieren soll. Zweimal die Woche komme ich jeweils morgens und abends an der Bank vorbei und muss feststellen, dass sie fast nie besetzt ist. Das mag zum Teil daran liegen, dass der Ort nicht unbedingt zum Verweilen einlädt. So stellt die Bank lediglich eine gut gemeinte Geste für einen quartiersübergreifenden Kommunikations- und Begegnungsort dar, doch das bloße zur Verfügung stellen eines Raumes ist noch lange kein Garant für das Funktionieren als solcher. Daraus eröffnen sich mir folgende Fragestellungen:

Was wird benötigt, um einen funktionierenden Kommunikationsraum zu schaffen?
Braucht es engagierte Initiatoren, um Räume am Laufen zu halten?
Wie viele Kommunikationsorte muss es in einem Quartier geben?
Wie sorgt man dafür, dass Kommunikationsräume zu einem Platz für Alle werden?

 

Literaturverzeichnis

Alisch, Monika (2002): Soziale Stadtentwicklung – Politik mit neuer Qualität? In: Walther, Uwe-Jens (Hrsg.): Soziale Stadt – Zwischenbilanzen. Ein Programm auf dem Weg zur sozialen Stadt? Opladen.

Beckhölter, Tobias; Schölzel, Joel David; Zuschlag, Moritz (2023): Definition des Begriffs Quartier. Positionspapier. Ein Beitrag aus Modul 3 Quartiere der Wissenschaftliche Begleitforschung Energiewendebauen. Aachen.

Deutsche Gesellschaft für Geografie, Schnur, O., Zakrzewski, P., Drilling, M. (Hrsg.) (2013). Migrationsort Quartier: zwischen Segregation, Integration und Interkultur, Research. Springer VS, Wiesbaden.

Freie Hansestadt Bremen: Soziale Stadt Bremen (o. Datum): LLQ – Landesprogramm Lebendige
Quartiere. Online verfügbar unter: https://www.sozialestadt.bremen.de
aufgerufen am 16.11.2023

Freie Hansestadt Bremen: Senat (2022): Mitteilung des Senats an die Bremische Bürgerschaft (Landttag) vom 26. April 2022. Landesprogramm Lebendige Quartiere – Umsetzung und Fortschreibung. Online verfügbar unter: https://paris.bremische-buergerschaft.de aufgerufen am 23.11.2023

Schnur, Olaf (2008): Neighborhood Trek. Vom Chicago Loop nach Bochum-Hamme – Quartiersforschungskonzepte im Überblick. Arbeitsbericht 145 des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin.

Schnur, Olaf (2014): Quartiersforschung. Zwischen Theorie und Praxis. Springer VS, Wiesbaden.

Schnur, Olaf (2021): Quartier als Schlüsselbegriff. In: BBSR (Hrsg.), Gemeinsam Stadt gestalten! Neue Modelle der Koproduktion im Quartier, BBSR, Bonn, S. 13-17.

Waltz, V. (1997). Soziale Integration und ethnische Identifikation in (benachteiligten) Stadtquartieren. In Rehberg, K.-S. (Hrsg.), Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung (S. 653-658), Opladen.

Willinger, Stephan (2012): Lebensraum Stadtquartier – Leben im Hier und Jetzt. Stadtquartiere mit Eigenschaften oder Was ist das, ein gutes Stadtquartier? In: Informationen zur Raumentwicklung. Ausgabe 3/4.2012. S. 1-7

Willinger, S., Hackenberg, K., Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) (2021): Ankunftsstädte gestalten: Impulse aus den Pilotprojekten; 6. Projektaufruf “Stadtentwicklung und Migration,” Stand: April 2021. ed. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn.

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