Das Quartier – der gesunde und erholsame Wohnort?

Safia Schuchmann, Studierende an der Hochschule Bremen

Beitrag aus dem Seminar „Quartiersforschung“ im Lehrgebiet „Theorie der Stadt“ an der School of Architecture Bremen, WiSe 2023/2024.

 

Das Quartier – ein Begriff, der in der Stadtplanung aktuell zahlreich verwendet wird. In vielen Städten werden neue Quartiere geplant und/oder alte modernisiert und zeitgemäß umgebaut. Ein Quartier konzentriert sich häufig auf bestimmte Merkmale, sei es in der Wohnform, der Nutzungs- oder Verkehrsform oder der Bauform. Besonders viel Aufmerksamkeit scheinen Mixed-Use Quartiere zu erfahren, bei denen eine möglichst große Nutzungsvielfalt im Vordergrund steht. Das heißt in erster Linie, dass Leben und Arbeiten nebeneinander stattfinden. Zusätzlich alle alltagsrelevanten Funktionen – Bildung, Einkaufen, gesundheitliche Versorgung, Freizeitbeschäftigung und auch die Erholung. Die unmittelbare Erreichbarkeit von alltagsrelevanten Funktionen stärkt und fördert das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Bewohner. 

Das moderne Quartier erscheint in der Theorie oftmals der nahezu perfekte Lebensort der heutigen Zeit zu sein. Aber was definiert ein Quartier eigentlich? Und ist das Quartier die relevante Planungsebene, auf der ein gesunder und lebenswerter Wohnort geschaffen werden kann? 

 
 

Definition “Quartier”

Die Bezeichnung „Quartier“ wird „(…) aus subjektiver, sozialer und professioneller Perspektive sehr unterschiedlich wahrgenommen.“[1] Stadtquartiere werden vor allem als alltägliche Lebens- und Erfahrungsräume sowie politische und städtebauliche Handlungsräume verstanden.[2] Sie bilden „eine heterogene, baulich dichte, aus mehreren Baukörpern bestehende räumliche Einheit im Stadtraum, (…)“ und sind damit ein soziales, räumliches und ökonomisches Konstrukt.[3] Ein Quartier ist räumlich jedoch nicht exakt begrenzt [2] und „entpuppt sich bei näherer Betrachtung als komplexe und unscharfe Bezugsgröße.“[1] Es erstreckt sich über mehr als nur ein Gebäude oder Komplex und reicht gleichzeitig nur so weit, wie die alltägliche Wahrnehmbarkeit des eigenen Lebensraumes. Aus diesem Grund bilden fußläufige Erreichbarkeit und alltagspraktische Überschaubarkeit ein Anhaltspunkt für die Größenvorstellung eines Stadtquartiers.[3] In einem (neuen) Quartier wird häufig ein einheitliches städtebauliches Konzept umgesetzt. Charakteristisch ist eine Nutzungsmischung, die das Wohnen, Arbeiten, Bilden, Erholen und Versorgen umfasst.

„Die Strukturen und Entwicklungsprozesse der Stadtquartiere sind maßgeblich für die Entfaltungsmöglichkeiten, Lebensqualität und Identifikation der Menschen, die darin leben.“[2] Quartiere bilden einen sozialen Interaktionsraum in dem Nachbarschaft und Engagement gelebt, Mitwirkung ermöglicht, Kommunikation auf vielfältige Art und Weise stattfinden kann und das kleinräumige und nachbarschaftliche Miteinander gefördert wird. Dadurch erhält ein Quartier eine gewisse Eigenständigkeit, ist nach außen abgegrenzt, stärkt im besten Fall den sozialen Zusammenhalt und vermittelt eine Identität.[1,3] 

 

Der Quartiersbegriff in der Neuen Urbanen Agenda

In einem internationalen Dokument der politischen Ebene bleibt derweil eine Definition des Quartiersbegriffes vage erklärt und kann nur aus dem kontextuellen Zusammenhang erahnt werden. Die „Neue Urbane Agenda“ ist ein global anerkanntes Dokument der Habitat III Konferenz der Vereinten Nationen über Wohnungswesen und nachhaltige Stadtentwicklung in Quito/Ecuador im Oktober 2016, welches als unverbindlicher Leitfaden für die zukünftige nachhaltige Stadtentwicklung dient. Der Quartiersbegriff wird in der Neuen Urbanen Agenda nicht verwendet. Es werden primär Städte adressiert, da diese als die zentralen Akteure für die Umsetzung gesehen werden. 

Die im Dokument enthaltenen klar definierten Forderungen an eine moderne Stadt sind als Handlungsvorschläge für die Planung und Umsetzung auf kommunaler Ebene zu verstehen. Sie umfassen „kompakte Siedlungsentwicklung mit angemessenen Freiräumen, einen sparsamen Umgang mit Ressourcen, Stärkung öffentlicher Verkehrsmittel und gesunde Lebensbedingungen für alle in Städten.“[4] Die Motivation hinter der Agenda ist es, eine „Stadt für alle“ zu realisieren, in der eine Vielzahl an Bewohnern gleichberechtigt leben und arbeiten können. Das Ziel ist es, Inklusivität zu fördern, sodass die Bedürfnisse aller Bewohner berücksichtigt werden, unabhängig von Einkommen, Geschlecht, Alter, Behinderung oder ethnischem Hintergrund. Jeder soll „ohne jede Diskriminierung gerechte, sichere, gesunde, frei zugängliche, erschwingliche, resiliente und nachhaltige Städte und Gemeinden bewohnen und schaffen können, um Wohlstand und Lebensqualität für alle zu fördern.“[5, S. 8] 

Dabei wird Gemeinden, Teilbereichen einer Stadt oder kleineren geografisch begrenzten Räumen eine wichtige Bedeutung zugeschrieben. Aus dem Kontext heraus sind Planungsideen und -ansätze zu verstehen, die zum Teil auf Quartiersebene angewendet werden sollen. Die Agenda unterstreicht die Bedeutung von nachhaltiger Stadtplanung auf kleineren räumlichen Flächen, da diese als wichtige Einheit betrachtet werden, um die Gemeinschaft aktiv in Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen. Damit soll sichergestellt werden, dass die städtische Entwicklung den Menschen dient. Es geht um physische Infrastruktur als auch um soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte. Empfohlen wird eine Entwicklung auf nachbarschaftlicher Ebene, die auf lokalen Bedürfnissen und Kontexten basiert.“[vgl. 5, S. 31] 

 

Quartier und Gesundheit

Ob das Quartier damit die richtige Größe darstellt, um einen gesunden und lebenswerten Wohnort zu schaffen, ist schwer zu beurteilen, denn Gesundheit hängt von vielen Faktoren ab und kann auch von Mensch zu Mensch variieren. In Abb. 01 sind die Bestimmungsgrößen der Gesundheit dargestellt, woran zu erkennen ist, dass nicht nur der Zugang zum Gesundheitswesen relevant ist, sondern auch Faktoren wie Alter, Geschlecht und Vererbung, die individuelle Lebensweise, die sozialen Verhältnisse und die Umweltgegebenheiten.[6] 

Bestimmungsgrößen der Gesundheit. Quelle: Weeber, in Böhme et.al: Handbuch Stadtplanung und Gesundheit, 2012, S.63.
Bestimmungsgrößen der Gesundheit. Quelle: Weeber, in Böhme et.al: Handbuch Stadtplanung und Gesundheit, 2012, S.63.

Der Quartiersansatz bietet aber in jedem Fall eine planerische Grundlage, um auf einen Teil dieser Faktoren zu antworten und damit einen gesunden Wohnort zu schaffen. Denn wird der Grundgedanke aus der Neuen Urbanen Agenda, wie zuvor beschrieben, erfolgreich umgesetzt, trägt dies zum Wohlbefinden der Bewohner bei. Fühlt ein Mensch sich wohl, wirkt sich dies auf seine allgemeine Gesundheit aus und steigert die Lebensqualität. 


Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es weder eine international einheitliche noch eindeutige Definition des Quartiersbegriffes gibt. Das Quartier wird oftmals nur vage definiert. Unklar bleibt dabei auch, worauf der Begriff basiert – auf politischen Verwaltungsebenen, Flächeneinteilung oder sozialen Strukturen? Dazu werden Quartiere häufig unter Berücksichtigung sehr unterschiedlicher Aspekte betrachtet, sodass die definierenden Merkmale sehr variabel sind. 

Auf der Grundlage der vorangegangenen Erkenntnisse wird jedoch deutlich, dass das Quartier auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene eine essenzielle Größe bietet, um städtebauliche Ziele baulich umzusetzen. Vor dem Hintergrund der enorm gewachsenen und stetig wachsenden Stadtstrukturen, erscheint eine kleinteiligere Betrachtung auf Quartiersebene umso hilfreicher und sinnvoller, um nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Zukunft erfolgreich lebenswerte Wohnorte zu schaffen. 



Literatur

[1] Schnur, Olaf: Quartier und soziale Resilienz. In: BMI, Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (Hrsg.): Memorandum „urbane Resilienz” – Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt, BMI: Berlin, 2021, S. 54-55. 

[2] BBSR: Räumlicher Gegenstand: Stadtquartier, in: Bundesinstitut für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumforschung (BBR) (Hrsg.): Ziele nachhaltiger Stadtquartiersentwicklung. BBSR-Analysen KOMPAKT 09/2013, S. 5-6.

[3] Cushman&Wakefield und GERCH: Quartiersentwicklung; Das Quartier als Zukunft von Stadt und Immobilienmarkt, Düsseldorf, 2023, https://www.cushmanwakefield.com/de-de/germany/insights. Zugriff am 26.3.2024.

[4] Umweltbundesamt, UBA: New Urban Agenda – Werkzeugkasten für moderne Städte,

https://www.umweltbundesamt.de/themen/new-urban-agenda-werkzeugkasten-fuer-moderne, Zugriff am 26.3.2024. 

[5] Vereinte Nationen, UN: Neue Urbane Agenda, UN: New York, 2016, https://www.katrima.de/DE/Wer_macht_was/Regelwerke/Strategien/NeueUrbaneAgenda.html 

[6] Weeber, Rotraut: Wohnen und Gesundheit, in: Böhme, Christa; Kliemke, Christa; Reimann, Bettina; Süß, Waldemar (Hrsg.): Handbuch Stadtplanung und Gesundheit, Hans Huber: Bern, 2012, S. 61–74, hier S.63. 

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