Matthias Ottmann, Landesgruppe Bayern
„Die Große Stadt hat nicht Zeit zum Denken, und was noch schlimmer ist, sie hat auch nicht die Zeit zum Glück“*
Beschreibung Bahnhofsviertel
Das südliche Bahnhofsviertel ist für viele Menschen, die täglich am Münchner Hauptbahnhof ankommen, das Eingangstor zur hoch frequentierten Münchner Innenstadt sowie zur Altstadt. Es ist ein Viertel, das die unterschiedlichen Quartiere in München verbindet, sei es das Westend, die Theresienwiese oder das Klinikviertel. Wer in München lebt, arbeitet oder die Stadt erkunden will, kommt am südlichen Bahnhofsviertel kaum vorbei.
Umso wichtiger ist es, diese urbane Drehscheibe nachhaltig zu entwickeln und interdisziplinär daran zu arbeiten, dass es nicht nur ein verbindendes Viertel ist, sondern auch ein Ort, der zum Verweilen einlädt.
Aktuelle Problemlage
Unabhängig von den Unannehmlichkeiten der Riesenbaustelle rund um den Hauptbahnhof mehren sich die Beschwerden über das Viertel, die von zunehmenden „Verwahrlosungstendenzen“ berichten. Beschwerden über fehlende Sicherheit, mangelnde Begrünung und eine zunehmende Verschmutzung werden immer lauter. Vor allem in den letzten zwei Jahren hat sich die Lage im südlichen Bahnhofsviertel verschlechtert.
Um diesen negativen Entwicklungstrends entgegenzuwirken, haben sich der Verein „Südliches Bahnhofsviertel München e.V.“ und die Initiative „Zukunft südliches Bahnhofsviertel“ zusammengeschlossen, um gemeinsam diesen multikulturellen Ort zu verbessern, zu fördern und die Potenziale des Viertel zu stärken. Mitglieder dieser zivilgesellschaftlichen Gruppierungen sind Gewerbetreibende, Inhaber, Hoteliers, Eigentümer und Immobilienunternehmen. Das Motto lautet: „Weniger reden, mehr handeln“. Gemeinsam sollen die aktuellen Herausforderungen im Viertel überwunden und disziplinübergreifend Lösungen gefunden werden. Durch die Umsetzung von Maßnahmen sollen die Chancen im Viertel erkannt werden, um eine dauerhafte, nachhaltige Aufwertung zu erreichen.
Wie können wir eine Veränderung erwirken?
Natürlich kann man der häufig dringlich gestellten Frage nach mehr Sicherheit nur kurzfristig begegnen. Bei allen Maßnahmen braucht es einen langen Atem, lang, damit man sinnvolle Pläne mit der Verwaltung schmiedet, lang aber auch deshalb, um den mind-change innerhalb der Bevölkerung zu erreichen. Aber warum brauchen wir bitte einen „mind-change“, ist denn ein „übertriebenes“ Handeln überhaupt notwendig oder gar gerechtfertigt?
Häufig wird bei Quartiersänderungen die Gefahr der Gentrifizierung betont. Und richtig, wir konnten in Münchener Stadtteilen an verschiedenen Stellen eine gewaltige Form der Verdrängung verspüren, die weder politisch noch gesellschaftlich so gewollt war. Aber wie geht man mit dem Thema Identität in einem Viertel wie dem Bahnhofsviertel mit einer relativ geringer Einwohnerdichte um?
Änderungsprozesse in Quartieren sind auch nur in einem bestimmten Maß aus plan- und gestaltbar. Und in gleichem Umfang wohl auch wenig verhinderbar. Natürlich können wir zu den städtebaulichen Instrumenten der Erhaltungssatzung und dem Milieuschutz greifen, sie zeigen eine erstaunliche Wirkung. Aber eben nur teilweise. Die Waage zu halten zwischen dem Notwendig Erneuerbaren und dem „Behalten-wollen“ ist für Stadtplaner und ausführende Organe wie Planer und Unternehmer oft mühsam und stellt uns alle vor großen Herausforderungen.
Kommen wir noch einmal auf die wirklich drängenden Fragen zurück: was soll denn nun geändert werden im Südlichen Bahnhofsviertel? Und wie wird der Veränderungsprozess eingeleitet?
Sicherlich gibt es durchaus romantisierende Bilder, wenn man z.B. frühmorgens die Landwehrstr. entlangradelt, das Treiben der Händler nachgeht und dabei auf die herrliche Apsis der St. Pauls Kirche schaut. Aber es gibt auch die anderen Seiten in dem Viertel wie Drogenkonsum, Arbeiterstrich, jede Menge Wettbüros, die alteingesessene Läden verdrängen. Schaut so unser Bild aus, wie wir uns das Bahnhofsviertel vorstellen?
Historisch geprägt sind Quartiere um einen Bahnhof immer mit erheblichen Problemen behaftet – das ist hier kein Einzelphänomen. Sozialmilieus, die sich aus vielen unterschiedlichen Ethnien und Nationalitäten zusammensetzen, können nur bedingt ihrer Funktion des Mit- und Nebeneinanders nachkommen und eine Willkommenskultur ausströmen.
Gleichzeitig ist das aber auch eine Stärke des Bahnhofsviertels, die jederzeit wahrnehmbare, manchmal schon brutal wirkende Vielschichtigkeit der Menschen, die dort arbeiten und manchmal dort auch wohnen. Apropos Wohnen: es ist schon auffällig, dass gerade in einem der dichtesten Viertel einer Stadt wie München das südliche Bahnhofsviertel mit geradezu 4.000 Anwohnern eben kein „Wohnstandort“ ist. Mit der Folge, dass die dort lebenden Menschen über das wichtige Instrument des örtlichen Bezirksausschusses auch politisch wenig Gehör finden.
Wenn wir also über Maßnahmen sprechen, dann sollten wir auch über Ziele sprechen, wie ein menschenwürdiges Umfeld geschaffen werden kann, wie wir Grünzonen anlegen können, vielleicht auch Sicherheitsgefühl erzeugen können und für beide wichtigen Funktionen, dem Leben und dem Arbeiten, eine neue „städtebauliche“ Grundlage schaffen.
Mit über 60 % Bettenanteil ist das südliche Bahnhofsviertel auch in seiner Monofunktion heraus geprägt. Wenn wir also etwas verändern wollen, geht das nur über einen vielschichtigen und vielseitigen Ansatz, der das Bewußtsein für die Gestaltung des öffentlichen Raums genauso schärft wie auch die Ansprache der Akteure und Immobilieneigentümer in dem Quartier. Ob dies nun mit neuen Nutzungskonzepten geschieht oder auch mit einem Reengagement in den Bestand, vielleicht sogar mit einer energetischen Sanierung, es gilt vieles aktiv anzugehen und ggf. sogar gleichzeitig zu steuern.
Die Initiative „Zukunft Südliches Bahnhofsviertel“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Akteure im Südlichen Bahnhofsviertel zusammenzubringen. Hervorgegangen aus einem Forschungsseminar an der TU München im Jahr 2023 konnte aus den Hauseigentümern und Unternehmen, die daran teilgenommen haben, eine Akteursgruppe gebildet werden. Unser gemeinsames Ziel ist es, positive Signale im Viertel zu setzen sowie strategische Maßnahmen in den Bereichen der Klimaanpassung, Sicherheit, Lärmreduzierung wie auch Kunst und Kultur umzusetzen. Unser nächstes Ziel wird sein, dass sich die Akteursgruppe um ein IBA Projekt bewirbt, um in einem noch größeren Wirkungszusammenhang gestalten zu können. Mal schauen, ob wir angenommen werden.