Alte und neue Mobilität im Quartier – Eine persönliche Zwischenbilanz

Dierck Hausmann, Landesgruppe Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland

Environmental Zones, Eyes on the Street, Rufbusse, autonomes Fahren, Drohnen und Flugtaxis

Eine persönliche Zwischenbilanz zur Entwicklung alter und neuer Mobilität im Quartier

Bei der Frage was die Vorstellungen über Mobilität und öffentlichen Raum aus den vergangenen Jahren gebracht haben, wo sie erfolgreich waren, wo sie gescheitert sind, was die neuen Mobilitätsformen und der Umgang mit Straßen und Quartiersplätzen in den nächsten Jahren bringen werden und worauf wir uns einstellen müssen, sollen drei Punkte vorangestellt werden:

  • Zwischen Raum- und Siedlungsstrukturen bestehen enge Wechselwirkungen
  • räumliche und funktionale Nutzungsmischung ist wichtige Voraussetzung für lebendige und nachhaltige Städte und Quartiere
  • Mängel bei der Raum-und Siedlungsstruktur im Hinblick auf Mobilität und Verkehr lassen sich nachträglich nur unzureichend „reparieren“.

Die Punkte sind von grundlegender Bedeutung und bilden den Rahmen für die folgenden Ausführungen.


I. Was haben die Konzepte aus den 1960-er und 1970-er Jahren gebracht?

Mobilität und Stadtraum erfuhren in den 1960-er und 1970-er Jahren eine neue Ausrichtung.

Der 1963 veröffentlichte Buchanan-Report forderte für schützenswerte Bereiche („environmental zones“) restriktive Kapazitäts- und Geschwindigkeitsbegrenzungen für den Autoverkehr, um den Straßenraum für Fußgänger sicherer und attraktiver zu machen. Der Autoverkehr wird in Ringen um diese Zonen herumgeführt, ein Durchfahren mit Sackgassen verhindert, das Parken im öffentlichen Raum verboten bzw. stark eingeschränkt. (1)

Der Buchanan-Report unterscheidet zwischen „beliebigem Autoverkehr“ (Verkehr, der unterlassen oder mit anderen Verkehrsmittel durchgeführt werden könnte, Verkehr der Berufstätigen und der Einkaufenden) und „notwendigem Autoverkehr“ (Wirtschafts- und Geschäftsverkehr, Liefer- und Busverkehr). Um den beliebigen Verkehr zurückzudrängen hält es der Report für am dringendsten, am Parkproblem anzusetzen, und am wirksamsten, einen guten und vor allem billigen öffentlichen Verkehr (ÖV) einzurichten. 

Anders als oft rezipiert, befasst sich der Report nicht nur mit Neubaugebieten, sondern auch mit dem Bestand und stückweiser Bebauung. Ebenso werden Mischverkehrsflächen und nicht nur das Trennungsprinzip im Auto- und Fußgängerverkehr behandelt.

Im selben Jahr erschien das Buch „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ von Jane Jacobs. (2) Zentrale These ist:, „Eyes on the Street”, sinngemäß: „Augenmerk auf die Straße“, sowohl der Anwohner als auch der Nutzer sollen die Straße sicher, abwechslungsreich und attraktiv machen. Dazu müssen die Gebäude zur Straße orientiert sein und unterschiedlichste Läden und andere öffentliche Orte – v.a. auch die, die nachts besucht werden – entlang des Bürgersteigs angesiedelt sein/werden. Ein Quartier, das aus solchen Straßen besteht, ist durch hohe Dichte und Nutzungsmischung geprägt. Es steht in krassen Gegensatz zu den Wohnsiedlungen, Gewerbeparks und anderen monofunktionalen Gebieten wie Geschäfts- oder Einkaufszentren, die in der Folge der Gartenstadtbewegung entstanden sind. 

Für Mobilität und Stadtraum werden im Buch „taktische Möglichkeiten“ diskutiert, die den privaten Autoverkehr reduzieren und Bus- und Lieferverkehr stärken. So etwa durch Verengung und Schließen von Fahrbahnen, Förderung des Taxiverkehrs, kleine Baublocks, kurze Ampelphasen oder Bushaltestellen an den Straßenecken. Das Zurückdrängen des privaten Autoverkehrs ist nur erfolgreich, wenn die Maßnahmen für die Anlieger und Bewohner einleuchtend und wünschenswert sind und kontinuierlich, step by step, durchgeführt werden.

Die Überlegungen zur Gestaltung des öffentlichen Raums (J.J. „ästhetischer Städtebau“) beziehen sich im Wesentlichen auf rasterförmige Straßensysteme, für die genügend optische Unregelmäßigkeit gefordert wird. Dies kann erreicht werden durch kleinstrukturierte Blöcke, Straßenbrücken, Gebäude in Straßenmitte, kleine, quer zur Fahrbahn liegende Parks, Gebäudevorsprünge, Straßen, die auf Flüsse oder Parks zulaufen, Gebäudeecken, hinter denen ein neues Straßenbild erscheint, abschnittsweise Baumpflanzungen oder Pflastermuster. Die Maßnahmen müssen immer aus dem funktionalen Kontext der angrenzenden Nutzungen und der Nutzer abgeleitet werden. 

Jane Jacobs hat darauf hingewiesen, dass ihre Beobachtungen und Schlüsse nur für große amerikanische Städte und nicht für mittlere, kleine Städte und Vorstädte gültig sind. Nach Auffassung des Verfassers sind diese Beobachtungen jedoch auch auf große europäische Städte übertragbar. Viele offene, gut funktionierende Quartiere belegen dies. (3)
1969 setzte die kommunistische Regierung der Stadt Bologna ein neues Planungskonzept um, das als „Modell Bologna“ über Italien hinaus große Bedeutung erlangte. (4) Das historische Zentrum und andere Quartiere wurden weitgehend vom Autoverkehr befreit und ein vernetztes System von Fußgängerzonen geschaffen. Seit 1973 wurde überdies ein Nulltarif für den öffentlichen Nahverkehr eingeführt. 

Als öffentliche Dienstleistung galt auch die Wohnung, die damit nicht mehr als Ware gehandelt werden sollte. Ziel war es, die heruntergekommene Bausubstanz zu sanieren, ohne die arme Bevölkerung zu verdrängen, und billigen Wohnraum zu erhalten. Nach der Enteignung der ursprünglich privaten Eigentümer wurden Wohnungsgenossenschaften gegründet, die den Bewohnern eine günstige Miete und ein Wohnrecht auf Lebenszeit garantierten. Private Sanierungsformen waren nicht möglich.

Nicht nur im historischen Zentrum sondern stadtweit wurden in den Quartieren Urbanisierungskommissionen und Bevölkerungsversammlungen fest installiert, die über alle wichtigen Angelegenheiten einschließlich dem Quartiershaushalt zu beraten und zu entscheiden hatten. Zentraler Ort hierfür waren historische Klosteranlagen.

Ab Mitte der 1970-er Jahre geriet das Modell Bologna immer stärker in die Kritik und immer mehr Maßnahmen mussten zurückgenommen werden. Auslöser waren eine schwere Wirtschaftskrise, die um sich greifende Austeritätspolitik sowie die wachsende Bedeutung privat organisierter und finanzierter Sanierungsmaßnahmen.

Ebenfalls in den 1970-er Jahren wurde in den Niederlanden ein Konzept zur Verkehrsberuhigung entwickelt: „Woonerf“ oder „Delfter Modell“. In „Woonerfs“ (Wohnhöfen) werden Mischverkehrsflächen angelegt, bei denen Fußweg und Fahrbahn auf einer Ebene liegen und der KFZ-Verkehr seine Vorrangstellung verliert. Kennzeichen sind Pflanzbeete, Bänke, wechselseitiges Parken, Poller und andere Elemente, wodurch ein charakteristisches Erscheinungsbild geschaffen und der Verkehr wirksam verlangsamt wird. (5)

Die Konzepte aus den 1960-er und 1970-er Jahren waren Leitvorstellung für viele nachfolgende Verkehrsplanungen. Woonerfs waren Vorbild für die 1980 eingeführten verkehrsberuhigten Bereiche, die sogar Eingang in die Straßenverkehrsordnung fanden, und ebenso für die in den in den 1990-er Jahren in den Niederlanden entwickelten „Shared-Space-Konzepte“. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass erstmals auch in Hauptverkehrsstraßen der Autoverkehr eingeschränkt wird. Das zwischenzeitlich vielfach angewendete Konzept, das auf Blickkontakt und gegenseitige Rücksichtnahme von Fußgängern, Rad- und Autofahrern beruht, hat gezeigt, dass weniger Unfälle passieren, weil langsamer gefahren wird, weniger Lärm entsteht, Zerschneidungseffekte abgeschwächt werden und alle Verkehrsteilnehmer in Summe schneller voran kommen. Dagegen bestehen erhebliche Probleme für Blinde, Gehörlose, Rollstuhlfahrer, Kinder und ältere Menschen. (6)

Den aktuell viel diskutierten „Superblocks“ in Barcelonas Stadtteil Eixample liegen ähnliche Überlegungen zu Grunde wie sie im Buchanan-Report formuliert sind. In Superblocks wird der KFZ-Verkehr daran gehindert, das Quartier zu durchqueren und stattdessen zurück auf die Hauptverkehrsstraße geleitet. Dadurch gewonnene Flächen erhöhen die Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität für die Bewohner und verbessern die Klimaresilienz. (7)


Der erste Superblock wurde 2017 eingerichtet, 2021wurde dann beschlossen, 21 weitere Straßen umzubauen. Zentrale Gestaltungselemente sind graphisch und farbig behandelte Gehweg- und Platzoberflächen, Neuordnung der Parkierungsflächen, Sitz- und Spielplatzmöbel, Entsiegelungen und Bepflanzungen. In der angrenzenden Bebauung soll eine gemischte Nutzung von Gewerbe und Wohnen erhalten oder gefördert werden. Um die ansässigen Bewohner vor Gentrifizierung zu schützen, setzt die Stadt darauf, Superblocks möglichst großflächig anzulegen, die Vermietung von Wohnungen wo irgend möglich zu regulieren und für den Alltag notwendige Dienstleistungen in max.10 Minuten erreichbar zu halten. Von der Bestandsaufnahme bis zur Umsetzung der Maßnahmen beteiligt die Stadt alle Interessengruppen. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere die Reduzierung der Verkehrsflächen des ruhenden und fließenden Autoverkehrs Kritik auslöst und einen hohen Kommunikationsaufwand erfordert. 

Ungeachtet dessen erfreut sich das Superblockkonzept breiter Zustimmung und Verbreitung. Allein in Berlin haben Bürger viele Initiativen für Superblocks gegründet und mehrere Bezirke haben die Umsetzung von Superblocks beschlossen. Auch in verschiedenen anderen deutschen Städten gibt es Aktivitäten zur Einrichtung von Superblocks. In Frankfurt am Main setzen sich aktuell zwei Bürgerinitiativen für Superblocks in citynahen Stadtteilen ein (Bockenheim und Bornheim), die Stadt prüft dies für drei Gebiete.


II. Worauf müssen wir uns einstellen?

Digitalisierung und künstlicher Intelligenz (KI) werden in den nächsten 10 bis 20 Jahren merkbare Auswirkungen auf Mobilität und öffentlichen Raum haben. (8) Das Wachsen des Online-Handels wird den Lieferverkehr weiter steigern und On-Demand-Verkehre (Rufbusse ohne feste Haltestellen, die Passagiere an ihrem aktuellen Standort abholen und an ihrem Zielort absetzen) werden an Bedeutung gewinnen, v.a. in weniger dicht bebauten suburbanen Bereichen und im ländlichen Raum. Zunehmen werden auch automatisierte Fahrzeuge. Strittig ist die Zukunft von Drohnen und Flugtaxis im städtischen Raum, weil hier noch viele Fragen nicht geklärt sind. 


III. Autonomes Fahren

Automatisierter Verkehr ist in Deutschland seit 2021mit dem „Gesetz zum autonomen Fahren“ geregelt. (9) Es erlaubt in festgelegten Betriebsbereichen selbständig fahrende Autos mit autonomer Fahrfunktion (SAE-Level 4 Autonomer Modus: Fahrzeuge können selbständig fahren, ohne dass die Fahrer übernehmen können müsse). (10) Im Rhein-Main-Gebiet hat der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) 2019 mit lokalen Partnern das Projekt „EASY“ (Electric Autonomus Shuttle for You) gestartet, um autonome Fahrzeuge in den öffentlichen Nahverkehr zu integrieren. Dazu wurden mehrere Testgebiete festgelegt: u.a. im Frankfurter Stadtteil Riederwald mit Tempo 20 km/h und in der Testphase mit Operator an Bord. 2024 startet das Projekt „KIRA“ (KI-basierter Regelbetrieb autonomer On-Demand-Verkehre) in Teilen der Stadt Darmstadt und des Landkreises Offenbach. Es soll perspektivisch flächendeckend ausgebaut werden. (11)

Als Angebot des öffentlichen Verkehrs hat autonomes Fahren unter anderem den Vorzug, Kosten zu sparen und zu helfen, den Fachkräftemangel zu bewältigen – gewichtiges Argument für die Initiativen des RMV. Vorteil des individuellen autonomen Fahrens ab SAE-Level 4 ist, dass Personengruppen, u.a. Kinder, Alte, Behinderte, für die bisher Autofahren nicht möglich war, jetzt selbstfahrende Autos nutzen können. Da autonomes Fahren auch insgesamt angenehmer und entspannter ist, wird der motorisierte Individualverkehr (MIV) zunehmen. (12)

Hartmut Topp hat darauf hingewiesen, dass Fußgänger und Radfahrer automatisierten Verkehr durch Queren der Fahrbahn jederzeit stoppen können: Software und Technik müssen aus Sicherheitsgründen so ausgelegt sein. Das behindert zusätzlich Einsatzfahrzeuge und anderen notwendigen Verkehr. Daher müssten Zäune o.ä. das Überqueren der Fahrbahn an beliebiger Stelle verhindern. In der Stadt, wo Straßen urbane Räume für alle sein sollen, ist das, so Topp, kein vernünftiger Ansatz. (13) Andere Hindernisse wie Sitzstufen, Straßenmöbel, Pflanzkübel, Hecken, Wasserbecken oder -rinnen, sind ästhetisch ansprechender. Sie sind in verkehrsberuhigten Bereichen vorstellbar, aber nicht überall entlang von Straßen.

Aus dem gleichen Grund sollten in dicht bebauten Quartieren selbstfahrende und konventionell gesteuerte Autos nicht gemeinsam auf der Straße fahren; autonome Autos würden den Verkehr bei jedem kleinsten Regelverstoß ausbremsen und chaotische Verkehrsverhältnisse erzeugen. Die Nachteile können nur in Gebieten kompensiert werden, in denen keine konventionellen Autos mehr fahren (Fußgängerzonen oder stark verkehrsberuhigte Bereiche) oder in denen alle Anwohner und Anlieger autonome Autos fahren oder sich dafür aussprechen. 

Insgesamt erscheint autonomes Fahren in Städten daher nur möglich, wenn der Algorithmus der Systeme verbessert wird und die fahrerlosen Autos menschliches Fahrverhalten mit Hilfe von KI genauer nachbilden können; d.h. bei unübersichtlichen Situationen oder in Bereichen, in denen die Fahrbahn von vielen häufig überquert wird (dichter Geschäftsbesatz, öffentliche Einrichtungen, Schulen usw.), langsamer fahren und „sich herantasten“ und nur anhalten, wenn Personen auf die Straße gefallen sind oder der Abstand zu spontan querenden Personen zu gering ist. In Pilotgebieten sind diesbezüglich mittlerweile große technische Fortschritte erzielt worden.

Der Einsatz autonomer Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr und ohne Begleitperson an Bord ist auch noch aus einem anderen Grund problematisch. Situationen in Fahrzeugen, die Angstgefühle entstehen lassen, vor allem nachts und in verkehrsarmen Zeiten –leider oft zu Recht – und Situationen, in denen Fahrgäste ungeschützt realen Bedrohungen ausgesetzt sind, können nicht hingenommen werden. Helfen würde ein Sicherheitsbegleiter im Fahrzeug, der nicht unbedingt qualifizierter Facharbeiter sein muss.


IV. On-Demand-Systeme

On-Demand-Verkehre sind in Deutschland in vielen Städten und im ländlichen Raum in der Diskussion, in der Testphase, in einer Reihe von Städten auch im Betrieb. Im Rhein-Main-Gebiet hat sich die Zweiteilung in Disposition (überlokal durch den RMV) und Fahrservice (lokal durch örtliche Verkehrsunternehmen) bewährt. Im Kreis Offenbach fährt seit 5 Jahren der „Hopper-Shuttle“, und bedient 13 Kommunen. Im Nordosten von Frankfurt, zwischen den Ortsteilen Riedberg, Nieder-Erlenbach und Berkersheim, verkehrt der On-Demand-Shuttle „KNUT“ (Kompakt, Nachhaltig, Urban, Typisch Frankfurt) mit 5-sitzigen Autos. In dem 3.400 ha großen Betriebsgebiet leben 63.400 Einwohner, es befinden sich hier zusätzlich zwei S-Bahn- und 10 U-Bahnstationen und 7 konventionelle Buslinien. Mit dem oben erwähnten Projekt „KIRA“ wird nun der autonome Betrieb für den On-Demand-Verkehr erprobt.

On-Demand-Angebote haben nach übereinstimmender Meinung von Fachleuten und Wissenschaftlern eine große Zukunft. Sie sind für den Fahrgast attraktiv, weil sie zur bedarfsgerechten Optimierung des ÖV-Systems beitragen können und kostengünstiger als Taxen und Privatautos sind. Für die Kommunen und die Betreiber sind sie zudem finanziell überschaubar und relativ schnell umzusetzen. Wie beim ÖPNV insgesamt wird sich bei On-Demand-Bedienung keine Kostendeckung erzielen lassen. Es ist daher seitens der Betreiber jeweils zu prüfen, ob die On-Demand-Bedienung wirtschaftlicher ist als ein konventionelles Alternativangebot.

Probleme entstehen, wenn die Fahrzeuge schlecht ausgelastet sind, weil es nicht genügend Akzeptanz für On-Demand-Angebote gibt. Auf der anderen Seite können Passagiere aus Straßen- und U-Bahnen abgezogen werden und eine Zunahme des Autoverkehrs bewirken. Das ist durch private Anbieter wie Uber geschehen. (14) Wenn aber stattdessen der Autoverkehr wie erwünscht reduziert wird, können Gentrifizierungsprozesse ausgelöst werden: je weniger Autos fahren, desto schneller steigen die Mieten und Immobilienpreise. In Barcelonas Superblocks kaufen Investmentfonds Gebäude auf und vermieten sie an saisonale Mieter. (15)

Der Verfasser vertritt die Meinung, dass sich trotz der beschriebenen Risiken On-Demand-Verkehre durchsetzen werden und verbunden mit autonomem Fahren und Sicherheitsbegleiter, die Mobilität für alle deutlich verbessern und steigern können. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass viele Bewohner ihr Auto abschaffen oder stehen lassen werden und damit helfen, Straßen- und Platzräume sicherer, gesunder zu machen und sie ökologisch, ökonomisch und sozial aufzuwerten. 

Das gelingt am wirksamsten – so die These – wenn, entgegen herrschender Meinung, autonome On-Demand-Systeme nicht nur in peripheren, weniger dicht bebauten Gebieten und im ländlichen Raum, sondern nach und nach auch in dicht bebauten städtischen Quartieren eingesetzt werden; denn hier sind die Potenziale am größten. Das Argument, die i.d.R. bestens erschlossenen Quartiere benötigen keine zusätzlichen ÖV-Angebote, trägt nicht, wenn es billiger und bequemer ist, das Privatauto stehen zu lassen und wenn notwendige teure Verbesserungsmaßnahmen im Bestand dadurch entfallen können. 


V. Voraussetzungen für autonome On-Demand-Verkehre

Um optimale Bedingungen für autonome On-Demand-Verkehre zu schaffen und die Mobilität im Quartier zu verbessern, sind weitere verkehrliche, bauliche, gestalterische und administrative Maßnahmen erforderlich. 

Wirkungsmächtiger und zugleich schwierigster Angriffspunkt ist das Parken im Straßenraum. Das wusste schon Buchanan (s.o.) und wissen viele Bürgermeister, die erleben mussten, dass durch den Versuch, Straßen-Parkplätze zurückzubauen, Wahlen verloren gehen können. Es ist das Thema, das die Anlieger am meisten erregt und Planern und der Verwaltung am meisten Zeitaufwand und Überzeugungskraft abverlangt. Allerdings generiert die Maßnahme auch den größten Flächengewinn im Straßenraum. 

Der Rückbau von Straßen-Parkplätzen soll straßenweise und idealerweise mit Veränderungen in der Randbebauung erfolgen. Auf Dauer ist die Unterbringung von Privatautos ausschließlich auf den Grundstücken, auf Parkplätzen und in Parkhäusern anzustreben. In Betracht kommt auch die Doppelnutzung der Parkplätze von Kaufhäusern, Supermärkten, Sportanlagen usw. Wenn die Entfernung zu den zu versorgenden Wohnungen und Infrastruktureinrichtungen zu groß wird, sind parzellengroße Mikroparkhäuser eine Lösung. Besitzer von autonomen Privatwagen können bis vor die Haustür fahren und ihr Auto fahrerlos in die Garage schicken. (16)

Es ist sinnvoll – ähnlich wie im neuen Mobilitätskonzept der Stadt Zürich – auf Quartiersebene Quartiers- und Nachbarschaftsstraßen zu unterscheiden. In Quartiersstraßen gilt Tempo 20 / 30 km/h, in den autofreien oder stark verkehrsberuhigten Nachbarschaftsstraßen Tempo 20 km/h. (17) Bezogen auf Superblockkonzepte würden Quartiersstraßen die Erschließung auf den den Superblock umfahrenden Fahrbahnen, Nachbarschaftsstraßen die Erschließung innerhalb des Superblocks übernehmen. Letztere sollten zunächst prioritär, perspektivisch ausschließlich dem notwendigen Verkehr und Grundstückszufahrten dienen. 

Bei der Gestaltung von Straßenräumen ist darauf zu achten, dass Fahrrad-, E-Scooter-Verkehr und Maßnahmen, die dies fördern, nicht – wie oft zu beobachten – zu Lasten der Fußgänger erfolgen. Insbesondere für Kleinkinder, Senioren und Behinderte, die das Verkehrsgeschehen oft nicht richtig einschätzen können, müssen geschützt werden. Ansonsten soll den bekannten und weitgehend akzeptierten ökonomischen (Belieferung, Präsentation usw.), ökologischen (Entsiegelung, Bepflanzung usw.) und sozialen (Straßenmöbel, Spielgerät usw.) Gestaltungsmaßnahmen und Aktionen möglichst viel Raum gegeben werden. 

Um Verdrängung von Bewohnern und Anliegern entgegen zu wirken sollte man sich an das Modell Bologna erinnern, das stark durch städtische Regulierungen geprägt war – in dieser Hinsicht vergleichbar mit den Gemeindebauten des roten Wiens nach dem 1. Weltkrieg. Im Gegensatz dazu stehen bei den Vorstellungen von Jane Jacobs kommunitaristische Ansätze mit kleinen Gemeinschaften im Fokus (s.o.). Beide Strategien sind nach wie vor bei Fachleuten gegenwärtig und finden in eingeschränkter Form Anwendung.


In Deutschland haben sich heute Vorkaufsrechte und Erhaltungssatzungen nach dem Baugesetzbuch (BauGB), verbunden mit gezieltem sozialem Wohnungsbau, als wirkungsvoll erwiesen. Walter Siebel hat darauf hingewiesen, dass Verbesserungsmaßnahmen in vernachlässigten Quartieren trotz Risiken notwendig sind. Sie müssen so gesteuert werden, dass bauliche und soziale Veränderungen in kleinen, verträglichen Schritten erfolgen. (18)

VI. Flugtaxis und Drohnen

Neben selbstfahrenden Autos und On-Demand-Systemen wird seit kurzem auch über Flugtaxis und Drohnen im städtischen Raum nachgedacht. Auch wenn sie in der Realität bisher kaum eine Rolle spielen, sollten ihre Chancen und Risiken nicht unterschätzt werden. In Hamburg wird mit einem Flughafen-Shuttle für max. 19 Passagieren experimentiert. Verglichen mit dem Taxi sind die Tickets für einen Transfer vergleichbar hoch, aber viermal so schnell. (19) Große Firmen nutzen Drohnen für den Lieferverkehr und in der TU Darmstadt wird untersucht, wie Drohnen im Katastrophenfall eingesetzt werden können. (20)

Aric Dromi, Chefberater von Volvo, ist der Auffassung, dass sich autonome Fluggeräte in Städten eher durchsetzen werden als autonome Fahrzeuge. Sie benötigen keine eigenen Fahrbahnen oder besondere Vorkehrungen wie selbstfahrende Autos. (21) Drohnen können in der Stadt sehr nützlich sein. Sie reduzieren den MIV und können, so Dromi, neben den oben genannten viele weitere Funktionen übernehmen, wie z.B. schnellen Personentransport oder Müllabfuhr. Die Kommunen müssen dann Festlegungen treffen, die in Zukunft den Verkehr autonomer Fluggeräte in der Stadt regeln, ggfs. auch Flächen für Landeplätze und Wartung sichern. 

Allerdings gibt es auch eine Reihe von Problemen. Drohnen sind umso lauter, je mehr Last sie tragen, wobei der Lärm nicht durch den Motor, sondern durch die Rotoren verursacht wird. Sie ermöglichen zudem Einsehbarkeit in private Gärten und Terrassen und es ist ungeklärt, wie hoch das Absturzrisiko ist und ob es daher Verbotszonen geben muss. Nach einer Analyse des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) von 11 Untersuchungen ist Urban Air Mobility beim Kilometerpreis teurer als bei

Autos oder Taxen, mit einem hohen Energieaufwand verbunden und erzielt nur selten eine Zeitersparnis, wenn Wartezeiten, An- und Abfahrtswege eingerechnet werden. (22)

Die Kommunen müssen die weitere Entwicklung im Blick haben und präventiv abschätzen, welche räumlichen und funktionalen Bereiche gefährdet werden oder profitieren können. 


VII. Beteiligung der Bewohner, Beschäftigten und Gewerbetreibenden 

Grundsätzlich ist ein Prozess zu gesamtstädtischer Mobilität und Stadtraum notwendig, da Mobilitätsangebote und Verkehrsplanung integrale Bestandteile der Gesamtplanung sind. Autonome On-Demand-Verkehre und die notwendigen Begleitmaßnahmen machen einen kontinuierlichen Dialog mit Bewohnern, Beschäftigten und Gewerbetreibenden unabdingbar. Alle Formen analoger und digitaler Beteiligung, Mitwirkung und Mitentscheidung können zum Einsatz kommen, wie Quartiersräte, Quartiershaushalt, Versammlungen, Anhörungen, usw. Das gilt für alle Projetphasen, von der Planung über die Bau- und Implementierung bis zur dauerhaften Beobachtung und Bewertung der Auswirkungen danach. Die Beteiligung der Anwohner und Anlieger über verkehrliche und gestalterische Maßnahmen sollte gleichzeitig parzellen- / straßenweise und quartiersweise durchgeführt werden.
 
Frankfurt am Main, 13.09.2024,
Dierk Hausmann 


Literatur

(1) Colin Buchanan, Verkehr in Städten, deutsche Ausgabe, Vulkan-Verlag Dr. W. Classen, Essen 1964

(2) Jane Jacobs, Tod und Leben großer amerikanischer Städte, Ullstein Bauwelt Fundamente, 1963

(3) offene Quartiere im Sinne Richard Sennett, Die offene Stadt, 2018 Hanser Berlin

(4) die folgenden Ausführungen basieren auf: Harald Bodenschatz / Tilman Harlander, 40 Jahre Stadterneuerung Bologna, in Forum Stadt

(5) Woonerf, WIKIPEDIA, Zugriff 19.08.2024

(6) Shared-Space, WIKIPEDIA, Zugriff 20.08.2024

(7) Umwelt Bundesamt, Umgestaltung in Barcelona – Pionier der Superblocks, baunetz CAMPUS, Stadterneuerung im Netzwerk

(8) grundlegend: Peter Sturm, „OnDeMo“ und „EASY“ – neue Mobilitätsangebote praktisch erprobt, Planerin 1/22, ferner Peter Sturm im Gespräch mit dem Verfasser, 27.06. und 25.07., Masterplan Mobilität Frankfurt 2022, Interview mit Wolfgang Siefert in der FAZ 18.06. und 02.07.2024

(9) Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren, BT-Drs. 18/11776

(10) Selbstfahrende Autos – assistiert, automatisiert oder autonom? Bundesanstalt für Straßenwesen (bast), 11.03.2021, Nr.: 06/21

(11) Verkehr und Technik, 09.22, S. 274 f und 10.22, S. 322 f

(12) Akzeptanzbefragung zu autonomen Autos (auch Transportroboter) allerdings ohne Prä-Post-Analysen, DVWG, Journal für Mobilität und Verkehr 12/22 und 17/23

(13) Hartmut Topp, Automatisch fahren – auch in der Stadt? Nein, aber … , Internationales Verkehrswesen (76) 1/2024

(14) vgl. Jürg Meier, Uber und E-Trottinetten lösen keine Verkehrsprobleme, NZZ 14.09.2019

(15) FAZ 20.03. und 19.06.2024

(16) zu fahrerlosem Valet-Parking s.o. Hartmut Topp

(17) Stadtraum und Mobilität – Strategie 2040, Stadt Zürich, 2022

(18) u.a. in: Handlungsfeld Stadträumliche Integrationspolitik – Ergebnisse des Projektes „Zuwanderer in der Stadt“, Schader-Stiftung, 2007

(19) nach Untersuchung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und Roland Berger, Fliegen in der Nische, FAZ 15.08.2024

(20) FR 15./16.07.2024

(21) Interview mit Aric Dromi, Berater von Volvo, FAS 08.01.2017

(22) Langsame Flugtaxis – https://taz.de/I6032933/ 


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