Beteiligung in der Quartiersentwicklung. Zwischen Utopie und Realität von Teilhabe und Partizipation

Jonas Bultmann, Studierender an der Hochschule Bremen

Beitrag aus dem Seminar „Quartiersforschung“ an der School of Architecture Bremen, WiSe 2023/2024.

 

Wir leben in Zeiten von Wohnraummangel und Klimakrise. Aus ökologischer Perspektive sind Neubauten und größere städtebauliche Bauvorhaben kritisch zu betrachten, da sie große Mengen an CO2 freisetzen und Flächen verbrauchen. Jedoch sind für eine klimagerechte Stadt und unter Bezug der sich ändernden Bedürfnisse der Bewohner:innen nach wie vor bauliche Eingriffe notwendig, um unsere Quartiere anzupassen. Es stellt sich also die Frage: wie kann dies gelingen?

 

Teilhabe und Beteiligung

Auf Seite der politischen Vertreter:innen und Stadtverwaltung gibt es diesbezüglich eine sich verändernde Haltung. Das zuvor prägende Top-Down-Prinzip der Stadtentwicklung ist überholt. Positionspapiere wie die Leipzig-Charta (Hackenberg et al., 2021) sowie weitere Publikationen zur Stadtentwicklung, wie die New Urban Agenda (United Nations, 2017), oder das integrierte Stadtentwicklungskonzept des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB, 2022) fordern eine Quartiersentwicklung, welche nach dem Gemeinwohl ausgerichtet ist. Zur Durchsetzung des gesamtgesellschaftlichen Interesses sollen demokratische Formen der Teilhabe in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. An denen können sich Bürger:innen sowie Interessensgruppen und weitere Verbände beteiligen (Hackenberg et al., 2021).

Die Möglichkeiten zur Umsetzung zivilgesellschaftlicher Teilhabe hat verschiedene Ausprägungen und Formen. Eine besonders wichtige wird aktuell unter dem Namen „Kooperative Planung“ diskutiert: Diese sieht die Gleichberechtigung aller Beteiligten im Entscheidungsprozess vor. Investor:innen sowie wissenschaftliche und gesellschaftliche Vertreter:innen haben nach diesem Modell den gleichen Einfluss und Entscheidungen werden nach dem Mehrheitsprinzip geschlossen. Der Einsatz eines solchen, kooperativen Ansatzes kann in unterschiedlichen Planungsstufen erfolgen. Die federführende Institution, i.d.R. die öffentliche Hand, übernimmt die Aufgabe der Moderation und Vermittlung (Knieling, 2019).

In der Realität laufen Beteiligungsverfahren jedoch oft die Gefahr, durch das Fehlen vielfältiger gesellschaftlicher Schichten, im Prozess kein umfassendes Bild der betroffenen Bürger:innen wiedergeben zu können. In den klassischen, öffentlichen Verfahren erweist es sich als schwierig alle Milieus einzubeziehen. Zudem kommt es häufig zu einer indirekten Ausgrenzung ärmerer Menschen sowie Menschen mit Migrationshintergrund sowie anderer strukturell benachteiligter Gruppen (Diehl, 2017).

Neue Vahr - (c) c.v.Wissel
Neue Vahr - (c) c.v.Wissel

Beteiligung in den Wohnsiedlungen der GEWOBA 

Wie funktioniert die Teilhabe in Bremen? Für eine genauere Betrachtung habe ich mit Vetreter:innen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEWOBA Bremen über Teilhabe und Beteiligungsverfahren in der Quartiersentwicklung gesprochen. Das Unternehmen ist spezialisiert auf den geförderten Wohnungsbau und beschäftigen sich mit der baulichen Ergänzung von Wohnquartieren. Mit über 32.000 Mietwohnungen ist die GEWOBA der größte Vermieter in der Stadt. Als Aktiengesellschaft sind die Anteile zu dreiviertel an das Land Bremen und zu einem Viertel an die Sparkasse verteilt. Siedlungen mit hohen Wohnungsbeständen der Gesellschaft liegen in den Stadtteilen Huchting, Vahr sowie Osterholz-Tenever. Das Interview führte ich mit Corinna Bühring, Architektin und Projektleiterin für Hochbau, und mit Jörn Ehmke, Abteilungsleiter Stadt- und Quartiersentwicklung der GEWOBA Bremen. 

Den gesetzlichen Bestimmungen nach müssen bei Veränderungen des Bebauungsplans öffentliche Verfahren durchlaufen werden (s. dazu den Beitrag „Partizipation für eine klimagerechte Stadt” ). Im Allgemeinen sind Planungsprozesse mit solchen Teilhabeverfahren aufwändig und langwierig. Für die GEWOBA sind diese jedoch unabdingbar – und dennoch stellte Herr Ehmke zu Beginn unseres Gesprächs den allgemein akzeptieren Nutzen kooperativer Planung bei der baulichen Entwicklung von Bestandsquartieren in öffentlichen Verfahren provokant zur Debatte: 

„[Bei der These], dass kooperative Prozesse und Beteiligung eine höhere Akzeptanz bringen, würde ich gleich provokant eine Gegenthese aufbauen: Ich glaube, wir würden dann gar nicht bauen! Es bestehen Interessenskonflikte zwischen Wohnraumbedarf und persönlichen Anliegen.“ 

Aus Erfahrungen berichten beide Gesprächspartner:innen, dass es bei öffentlichen Veranstaltungen für die meisten Personen vornehmlich um Themen wie Autostellplätze oder dem Erhalt von Bäumen ginge. Über das eigentliche Projekt, wie zum Beispiel beim Bremer Punkt, einem seriellen Wohngebäude, welches in Bestandsquartieren den Bedarf nach barrierefreien sowie kleinen Wohnungen abfedern soll, werde in der Regel nur am Rande diskutiert. Dennoch sieht es die GEWOBA als ihre Aufgabe an, Beteiligungsverfahren in verschiedenen Formaten durchzuführen. Dies erfolgt auch im Rahmen der Erarbeitung von neuen Leitbildkonzepten, welche für die Weiterentwicklung von Wohnsiedlungen angewendet werden. 

Einen wichtigen Aspekt der Beteiligung sieht Frau Bühring in der Aufgabe des Informierens. Information bildet die Grundlage für Beteiligungsverfahren, da mit verschiedenen Formaten die Kommunikation begonnen werden kann (vgl. Bischoff et al., 2007, S. 10f.). Diese sind individuell zugeschnitten und hängen von den örtlichen Begebenheiten und Zielen ab. In der Bremer Großwohnsiedlung Neue Vahr mit 10.000 Wohnungen ist es zum Beispiel gut möglich, viele Leute zu informieren. Als eine Methode wurde im Interview die postalische Zustellung von entsprechenden Materialien aufgeführt, die GEWOBA schickt aber auch Teams in ihre Quartiere, um Bewohner:innen direkt anzusprechen. Des Weiteren gab es im Rahmen der Umsetzungsplanungen des Bremer Punkts zum Beispiel Infoabende, zu denen Anwohner:innen direkt eingeladen wurden. In der Summe lässt sich aber feststellen, so die beiden GEWOBA-Vertreter:innen, dass die Resonanz, trotz eines sehr hohen Aufwands, recht gering ist. 

Die Gründe dafür sind vielfältig. Grundlegend, so die beiden Expert:innen, müssen wir uns für das Thema interessieren und die gebührende Zeit für Beteiligung aufbringen, „der Wunsch der Menschen, beteiligt zu werden,“ so Herr Ehmke, „wird manchmal [aber] überschätzt.“ Frau Bühring ergänzt: „Der Mensch wird gerne da beteiligt, wo es ihn in irgendeiner Form tangiert.“ So würden sich bei der Entwicklung eines Quartiertreffpunkts mit einem Spielplatz eher Personen mit Kindern beteiligen, nicht aber alle anderen… Woran liegt das? 

Die Wissenschaft verweist hier auf strukturelle Probleme. Die Hintergründe kommen aus unserem gesellschaftlichen Zusammenleben und sind tief verwurzelt. Nach dem Politikwissenschaftler Marwan Abou Taam ist ein Faktor fehlender Teilhabe bei Menschen mit Migrationshintergrund, dass ihnen eine ablehnende, diskriminierende Haltung im Alltag entgegengebracht wird. Das vermittelte Gefühl der Benachteiligung und Chancenlosigkeit führt mindestens zu einer erschwerten Integration sowie einer fehlenden Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft. Dies wiederum beeinflusst das Verlangen nach Partizipation (Taam, 2017, S. 208f.). Auch Menschen mit geringem Einkommen werden als Randgruppe wahrgenommen und sind stärker vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Der „Lebenslagenansatz“ konstatiert, dass die Partizipationschancen von den fünf Bereichen „Einkommen, Bildung, Erwerbstätigkeit, Gesundheit und Wohnen“ abhängig sind. Sind Personen in mindestens einem Punkt eingeschränkt, spiegelt sich dies in den Teilhabemöglichkeiten wieder (Spannagel, 2017, S. 80). 

Wie gelingt es also, das Interesse von Menschen ohne direkte Teilhabe in der Quartiersentwicklung aufzugreifen und einzubringen? Die GEWOBA nutzt hierfür bestehende Netzwerke in den Quartieren. Die drei Großsiedlungen Vahr, Tenever und Huchting sind seit mehreren Jahren WIN-Gebiete (Wohnen in Nachbarschaft) mit Quartiersmanager:innen und werden mit weiteren Förderprogrammen des Landes Bremen unterstützt. Das Unternehmen sucht nach eigenen Angaben regelmäßig den Kontakt, um einen Austausch für Vorhaben anzuregen. Nutzer:innen des Quartiers kommen bei der zwischenmenschlichen Kommunikation mit der Hausverwaltung oder den Hausmeister:innen regelmäßig in Kontakt. Dieser informelle Austausch wird in Entwicklungsprozessen der GEWOBA einbezogen. 

Frau Bühring verweist zudem auf Folgendes: „Wir profitieren zweierlei von unserer sehr direkten Kommunikation. [Insbesondere] unsere Kollegen im Quartier, die im sehr direkten Austausch mit den Bewohnenden sind. Vom Hausmeister:in bis zu den Vermieter:innen.“ Regelmäßige Termine, um die Wünsche der Mieter:innen zu diskutieren, gebe es aber nicht. Jedoch würden bei unternehmensinternen Treffen, Anregungen von Stadtteilgruppen erläutert und Themen, die das Quartier bewegen, nachgegangen. Wie diese Informationen verarbeitet werden, erklärt Herr Ehmke: „Es gibt diese Alltagsperspektiven der Menschen. Die nehmen wir auf über verschiedenste Formate, nicht über einzelne Veranstaltungen, sondern über Prozesse wie diese Stadtteilgruppen und durch Kenntnisse, die wir über unsere Hauswarte zu den Menschen haben. […] Diese Alltagsperspektiven haben wir und müssen diese in Fachperspektiven übersetzen. […] städtebauliche Entwicklung oder Quartiersentwicklungen, die manchmal fünfzehn Jahre dauern, das können die [Bewohner:innen] nur sehr schwer antizipieren, was man heute dafür tun muss.“ 

In der Projektentwicklung innerhalb der Quartiere werden die so gesammelten Daten oft zu Leitbildern zusammengefasst und die Bedarfsplanung mit diesen Informationen sowie mit Statistiken der Stadt ergänzt. Im weiteren Zusammenhang erfolgt die genauere Betrachtung, um vor Ort zu gucken, welche Stadtbausteine angemessen und sinnvoll zu ergänzen sind.

 

Fazit

Das Beispiel der GEWOBA Bremen zeigt Differenzen zwischen der Utopie einer Wohnraumentwicklung mit großer Teilhabe und der Umsetzung von Beteiligung bei Projekten innerhalb der Quartiere. Die Beteiligungsverfahren sind langwierig und häufig mit einer geringen Resonanz verknüpft. Neben fehlendem persönlichem Interesse gibt es gesellschaftliche Mechanismen, die ungewollt und unterbewusst Gruppen ausgrenzen und vollumfängliche Teilhabe und die hohen Ansprüche an Partizipation somit untergraben. Gesellschaftliche Strukturen, die die Beteiligungshürden herabsetzten und somit die Bedingungen schaffen, um Probleme in der Gesellschaft gemeinsam zu lösen, sind in der Praxis oft nicht gegeben. Meiner Meinung nach gibt es deswegen keine Patentlösung für Beteiligung. Stattdessen ist ein hoher Aufwand aller Beteiligten nötig, um die Akzeptanz aller gesellschaftlicher Schichten zu fördern. Wo dies geschieht, gibt es dann durchaus aktive Teilhabe. Der Traum von Partizipation und kooperativer Planung in der Quartiersentwicklung braucht also weiterhin der steten Arbeit, um die Utopie Realität werden zu lassen.

 

Literatur

Bischoff, A., Selle, K., Sinning, H., 2007. Informieren, Beteiligen, Kooperieren: Kom-
munikation in Planungsprozessen ; eine Übersicht zu Formen, Verfahren und Methoden. Dorothea Rohn Verlag: Dortmund.

BMWSB (Hrsg.), 2022. Migration, Integration und Teilhabe in integrierten Konzepten
der Stadtentwicklung. Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB): Berlin.

Diehl, E., 2017. Vorwort, in: Teilhabe für alle?! Lebensrealitäten zwischen Diskrimi-
nierung und Partizipation, BzpB-Schriftenreihe. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn, S. 9–12.

Hackenberg, K., Vogel, F., Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
(Hrsg.), 2021. Neue Leipzig-Charta: die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR): Bonn.

Knieling, J., 2019. Kooperative Planung, in: Handwörterbuch der Stadt- und Raum-
entwicklung. Akademie für Raumforschung und Landesplanung: Hannover,
S. 1229–1236.

Spannagel, D., 2017. Menschen mit niedrigem ­ sozioökonomischen Status – Armut
und Teilhabe, in: Teilhabe für alle?! Lebensrealitäten zwischen Diskriminierung und Partizipation, BzpB-Schriftenreihe. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn.

Taam, M.A., 2017. Teilhabe und Beteiligung von Menschen mit Migrationshinter
grund als notwendige Bedingung für eine moderne pluralistische Gesellschaft, in: Teilhabe für alle?! Lebensrealitäten zwischen Diskriminierung und Partizipation, BzpB-Schriftenreihe. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn.

United Nations (Hrsg.), 2017. New urban agenda: H III: Habitat III : Quito 17-20.
October 2016. United Nations: Nairobi.

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