Genug ist ziemlich komplex. Fünf Vorschläge für Prinzipien suffizienter Planung

Felix Rebers, CITYFÖRSTER architecture+urbanism

Im stadtplanerischen Diskurs sind viele suffiziente Lösungen auf dem Tisch und bereits zahlreiche gute Beispiele umgesetzt. Die angewandten Maßnahmen reichen von der Stadt der kurzen Wege, die ohne emissionsreichen Individualverkehr auskommt bis hin zu Schwammstadtmaßnahmen, die unsere Städte klimaaktiv machen und das Mikroklima positiv beeinflussen. Kreative Nachverdichtungsprojekte in Holzbauweise fügen sich in zirkuläre Stadtentwürfe ein, die Bestandsgebäude als wertvolle Ressource erhalten, sanieren, umnutzen und weiterbauen. Die gebaute Umwelt bildet dabei die Voraussetzung für gesellschaftliche Diversifizierung, Klimaanpassung, lässt Räume für unterschiedliche Lebensstile und Bedürfnisse entstehen und reagiert auf Herausforderungen des demografischen Wandels und der sich verändernden Arbeitswelt. Dabei wird nicht nur räumlich gedacht, sondern auch die zeitliche Überlagerung von Nutzungen berücksichtigt. Wir brauchen also keine neuen Ideen, sondern neue Wettbewerbsjurys, passendere bau- und planungsrechtliche Bedingungen, kommunale und politische Steuerung und kulturellen Wandel. Denn auf der anderen Seite werden noch immer zu leichtfertig Baugebiete auf der grünen Wiese ausgewiesen. Das Einfamilienhaus ist in der breiten Bevölkerung noch immer stark nachgefragt und die damit verbundene Eigentumsbindung führt häufig zu einem steigenden individuellen Flächenverbrauch, da die Eltern ihre Häuser auch dann noch bewohnen, wenn die Kinder bereits ausgezogen sind. Auf der anderen Seite erschweren veraltete Stellplatzschlüssel, Anforderungen an Schall- und Brandschutz oder Umbauordnung häufig das Umsetzen innovativerer Konzepte. Und das, obwohl neue Qualitätsansprüche bereits zunehmend in Planungswettbewerben formuliert werden. Die Ergebnisse dieser Wettbewerbe werden den Ansprüchen jedoch oft nicht gerecht, da entweder die Wettbewerbsjurys schon die drängenden Klima- und Nachhaltigkeitsthemen nicht angemessen bewerten und priorisieren oder in der Folge ein ganzes Bündel an Hemmnissen in Politik, Baurecht, Kultur oder Nutzerakzeptanz die Planung und Umsetzung der Konzepte erschweren. Die neue Schlüsselkompetenz zeitgenössischer Planender ist der Umgang mit Komplexität. Schnelllebigkeit, Krisen und kontinuierlicher Wandel prägen unsere Zeit. Das erfordert elastische Konzepte und die Integration vielfältiger Ansprüche in die Planung, damit diese nachhaltig wird. Wer sich auf Komplexität einlässt und sie antizipiert, erhält die Chance, dass sich im Prozess Mehrwerte multiplizieren, Akteur*innen frühzeitig eingebunden und Synergieeffekte aufgedeckt werden können oder Wandlungsfähigkeit bereits am Anfang mitkonzipiert werden kann. Das ist die Voraussetzung dafür das weniger nicht nur genug, sondern sogar besser ist.

Fünf Prinzipien suffizienter Stadtplanung


Prinzip 1: Komplexität antizipieren

Ein kleinteiliges Verständnis des Ist-Zustandes entwickeln; der Permanenz der planerischen Entscheidungen bewusst werden. Auch immaterielles, wie kulturelle, gesellschaftliche, oder Genderaspekte auf Augenhöhe behandeln, auch wenn sich diese nicht in Excel-Tabellen abbilden lassen. Auf manche Fragen gibt es keine einfachen Antworten.

Prinzip 2: Den Schluss zuerst denken

Vom Betrieb herdenken. Wichtige Akteur*innen früh zusammenbringen, um Synergieeffekte aufzudecken und den End-of-Life Aspekt in allen Systemen mitdenken.

Prinzip 3: Frontloading

Möglichst viele Themen früh im Planungsprozess angehen. Kluge Entscheidungen multiplizieren ihre Mehrwerte im fortschreitenden Planungsprozess.

Prinzip 4: Plastizität entwerfen

Wandlungsfähigkeit mitkonzipieren, das heißt zum Beispiel auch Schrumpfung mitberücksichtigen oder Leerstellen zulassen.

Prinzip 5: Rahmenbedingungen kritisch hinterfragen

Ist das Geforderte wirklich nötig, um die gewünschten Ziele zu erreichen? Geht es auch mit weniger?



Verfasst von CITYFÖRSTER architecture+urbanism (Felix Rebers), Beitrag erstmals veröffentlicht Flensburg, Oktober 2023 in: Genug Stadt Krisen
Die Handreichung ist im Rahmen des Forschungsprojekts „Entwicklungschancen und -hemmnisse suffizienzorientierter Stadtentwicklung II“ entstanden und wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen 01UR2104A+B)

Herausgeber*innen: David J. Petersen, Michaela Christ, Johanna Carstensen (Hrsg.)

© Beitragsbild: Europa-Universität Flensburg I Norbert Elias Center (NFC)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert