Gesundheit kleiner denken? Was Gesundheit in einem Quartier auszeichnet – am Beispiel Ellener Hof

Laura Helweg und Safia Schuchmann, Studierende
an der Hochschule Bremen

 

Beitrag aus dem Seminar „Quartiersforschung“ im Lehrgebiet „Theorie der Stadt“ an der School of Architecture Bremen, WiSe 2023/2024.

 

Ge·sund·heit: Substantiv, feminin: “[E]in Zustand des umfassenden körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. In der Gesundheitsförderung wird Gesundheit als wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens gesehen und nicht vorrangig als Lebensziel.” (1) 

 

Einleitung

In den vergangenen Jahren ist das Thema Gesundheit aufgrund unterschiedlicher Hintergründe wieder stärker in den Fokus gerückt. Im Vordergrund steht die eigene körperliche und mentale Gesundheit, wobei jeder Einzelne ein subjektives Verständnis davon hat. Aus der oben erwähnten Definition ist zu verstehen, dass Gesundheit nicht messbar ist, sie aber in vielen Lebensbereichen eine bedeutende Rolle spielt. Eine gesundheitliche Einschränkung kann zu enormen lebensverändernden Umständen führen. 

Da Menschen sich heutzutage ungefähr 80 bis 90 % ihrer Zeit in Innenräumen aufhalten (2), spielt das Thema Gesundheit unter anderem auch im Bauwesen eine wichtige Rolle. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung geht es um weitaus mehr als Materialwahl, Bauweise, Barrierefreiheit und andere Faktoren, die die Qualität des Innenraumes beeinflussen. Es geht vielmehr auch um psychologische Aspekte auf städtebaulicher Ebene wie Nachbarschaft, Gemeinschaft, Vernetzung, Erreichbarkeit und Flexibilität. Das Wohlbefinden von Menschen wird von vielen verschiedenen Faktoren bestimmt. Dazu gehören sowohl physische, psychische und soziale Aspekte (3), als auch eine gute Gesundheitsversorgung (4), eine gesunde Umwelt, sowie Bildung und gesundheitliche Aufklärung. Die ganzheitliche Förderung von Gesundheit in einem Quartier erfordert eine integrierte Planung (5), die diese verschiedenen Dimensionen schon frühzeitig berücksichtigt und eine gesunde Lebensweise unterstützt. 

Bei unserer Recherche haben wir uns damit beschäftigt, was Gesundheit auf der Quartiersebene auszeichnet und uns die Frage gestellt, ob die sozialräumliche Einheit „Quartier” einen Beitrag zur Gesundheit von Bewohnenden leisten kann. Dazu haben wir das Stadtquartier Ellener Hof in Osterholz, Bremen, betrachtet. Die 10 Hektar große Fläche der Bremer Heimstiftung wird in enger Kooperation mit der Hansestadt Bremen zu einem sozial-ökologischem Stadtquartier ausgebaut. Es sollen min. 500 Wohnungen entstehen, die rund 1.000 Personen jeden Alters sowie aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und Kulturen ein neues Zuhause bieten. Zusätzlich werden soziale Einrichtungen, Vereine und Kulturschaffende im Quartier angesiedelt. (6) 

 

Ellener Hof

Der Ellener Hof zeigt sich als ein fortschrittliches sozial-ökologisches Modellquartier, basierend auf dem Konzept eines urbanen Dorfes. (7) Ein Gestaltungshandbuch legt die Grundlage für ein vielfältiges Leben im Quartier und definiert Rahmenbedingungen für Bauherren, Erdbaurechtsnehmer und Bewohner (8). Das Ziel ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen gemeinsamer und individueller Gestaltung. (9) Die Bremer Heimstiftung entwickelt das Quartier seit 2015 mit dem Ziel, ein durchmischtes, nachhaltiges und sozial diverses Wohnprojekt zu schaffen. Dabei wird auf Holzbauweise als identitätsstiftendes Merkmal gesetzt, um ökologische Nachhaltigkeit zu fördern. Das Quartier integriert verschiedene Wohnformen, soziale Einrichtungen und eine vielfältige Nutzungsvarianz, betont die Vernetzung mit der Umgebung und setzt auf nachhaltige Energieversorgung (10). Der Dialog mit Politik, 

Verwaltung und Anwohnern spielt eine zentrale Rolle im gesamten Planungsprozess. Der städtebauliche Entwurf legt Wert auf den Erhalt des prägenden Altbaumbestands und schafft einen fließenden Übergang zwischen privatem und öffentlichem Raum (11). 

 
Abb. 01: Baustein in der Stadtlandschaft, RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten und DeZwarteHond. Quelle: Gestaltungshandbuch Stiftungsdorf Ellener Hof. S. 10.
Abb. 01: Baustein in der Stadtlandschaft, RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten und DeZwarteHond. Quelle: Gestaltungshandbuch Stiftungsdorf Ellener Hof. S. 10.

Bei unserer Online-Recherche zum Thema Gesundheit im Ellener Hof stießen wir auf folgende drei Aussagen: 

Stadtleben Ellener Hof: Unser Leitbild (12) 

  • “Wir verstehen unser Engagement für Klimaschutz als einen Beitrag zur Gesundheitsförderung und möchten mehr Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesundheit schaffen.”    
  • “Wir sind füreinander da und leisten Nachbarschaftshilfe, um selbstbestimmt leben und in vertrauter Umgebung alt werden zu können.” 
  • „Wir möchten Freiflächen in unserem Quartier so gestalten, dass wir Gemüse aussäen, Obststräucher oder -bäume anpflanzen und ernten können.” 

Leibniz Living Lab – Gesundheitswerkstatt Osterholz (13) 

  • Ziel:  “aktive Einbindung der Gemeinschaft in die Gesundheitsforschung auf Stadtteilebene.” 
  • Leitidee: „gemeinsam ein Verständnis von Gesundheitsförderung entwickeln.” 
  • Fokus: „soziale Interaktion, zusammen mit der Gemeinschaft konkrete Ideen, Visionen und Projekte zur Gesundheitsförderung im Stadtteil realisieren.”

Bremer Heimstiftung: Werkstatt Alter (14)  

  • Ziel: “Gesundheitskompetenz älterer Menschen in den Stadtteilen Osterholz, Hemelingen und Walle stärken.” 
  • Leitidee: “Gemeinsam mit Bewohnern Angebote zu gesunder Ernährung, Bewegung und seelischer Gesundheit finden und bekannt machen.” 
  • Fokus: “Lücken im Angebot identifizieren und mit Ideen der Bewohner schließen, Netzwerke im Gesundheitsbereich stärken, Motivation zur aktiven Teilnahme fördern.” 

 

Ortserkundung

Auf der Grundlage unserer Online-Recherche haben wir sodann den Ellener Hof besucht und uns vor Ort ein Bild gemacht. Bei unserer Ankunft stellten wir überrascht fest, dass das Quartier, entgegen unserer durch die Online-Darstellung geweckten Erwartungen, noch weit entfernt von einer Fertigstellung ist. Schon bei der Zufahrt wurden wir von Bauzäunen, Absperrungen und unbefestigten Straßen empfangen. Während die Gebäude entlang der Straße zwar bereits fertiggestellt und bewohnt sind, befindet sich die Mehrzahl der Gebäude im zentralen und hinteren Bereich des Quartiers noch zu Beginn der Bauphase. Die vereinzelt bewohnten Gebäude gehen aktuell inmitten der großflächigen Baustellen unter. 

Trotz der beschriebenen Verhältnisse ist in dieser frühen Phase der Quartiersentwicklung bereits zu erkennen, dass die Teilöffentlichkeit und das Konzept eines urbanen Dorfes gut durchdacht sind und sie auf ein lebendiges, zukunftsorientiertes, sozial-ökologisches und lebenswertes Quartier hoffen lassen. Inmitten der wenigen fertiggestellten Häuser haben wir Freiflächen entdeckt, die Möglichkeiten für unterschiedliche Freizeitaktivitäten bieten. Zur winterlichen Jahreszeit waren diese zwar unberührt, allerdings kann man aufgrund ihrer einladenden Gestaltung davon ausgehen, dass sie bei entsprechendem Wetter gut angenommen und genutzt werden. 

Abb. 02: Ellener Hof, eigene Aufnahme
Abb. 02: Ellener Hof, eigene Aufnahme

Interview

Neben unserem persönlichen Eindruck hatten wir die Gelegenheit, mit den leitenden Personen der Gesundheitswerkstatt/Leibniz Living Lab sowie der „Werkstatt Alter“ der Bremer Heimstiftung zu sprechen. In einem Interview erfuhren wir, wie Gesundheit in diesem Quartier entwickelt und gelebt wird, wie sie sich zeigt und welche Hindernisse bewältigt werden müssen. Die folgenden Fragen und Antworten wurden dabei produziert: 

  • Besteht allgemeines Interesse der Bewohner an Gesundheit und woher wissen sie davon? – Das Interesse an Gesundheit variiert stark, insbesondere nach Corona. Es gestaltet sich schwierig, ältere Bewohner und Bürger zu begeistern oder zu überzeugen. 
  • Welche Maßnahmen werden im Quartier umgesetzt und wie genau sehen diese aus? – Es besteht direkter Kontakt zu lokalen Akteuren wie Bewohnern, Heimleitung, Ortsamtleiter, Quartiersmanager, Seniorenarbeit und Kirchen. Bisher konnte leider kein Erfolg im Kontakt mit Arztpraxen verzeichnet werden. 
  • Wie findet die Kommunikation zwischen Ihnen (bzw. dem Management) und den Bewohnern statt? – Trotz regelmäßiger Einladungen zu Gesprächen, Veranstaltungen und festgelegten Workshops wird der Ellener Hof nicht von allen Bewohnern gleichermaßen angenommen. Die Ludwig Roselius Allee bildet dabei eine deutliche Grenze. Unser Bestreben ist es, ein Netzwerk aufzubauen und zu pflegen. Bedauerlicherweise scheinen die Bürger aus der Umgebung den Ellener Hof nicht vollständig zu akzeptieren. 
  • Wie wird Ihr bisheriges Angebot von den Bewohnern angenommen? Gibt es viel Beteiligung? – Die Akzeptanz ist generationsabhängig. Mit schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankungen haben wir wenige Teilnehmer, während Angebote wie Café, Kuchen und austauschfreie Aktivitäten gut ankommen. 
  • Welche gesundheitsbezogenen oder -relevanten Angebote existieren bereits vor Ort? – Es gibt eine monatliche Themenreihe „Alles Gesundheit 60+“ mit direktem Austausch untereinander. Die Themen werden je nach Nachfrage und Beteiligung angepasst. 
  • Welche Zielgruppen werden erreicht? Welche nicht? – Jeder ist willkommen, insbesondere Menschen, die sich wenig um ihre Gesundheit kümmern. Ziel ist es, Menschen zu erreichen, die bisher wenig Interesse zeigen.  
  • Wie werden Erfolge und Misserfolge festgestellt und gemessen? – Die Gesundheitswerkstatt und Werkstatt Alter wurden erfolgreich angenommen. Das Netzwerk wird stetig ausgebaut und Gesundheitsprojekte für unterschiedliche Altersgruppen werden aufgestellt. Der Dialog auf Augenhöhe wird als großer Erfolg betrachtet, jedoch wird der Ellener Hof nicht von allen Bewohnern angenommen. Hier ist es ist wichtig, Gesundheit kleinräumiger zu denken. Je älter die Menschen, desto kleiner der Radius.  
  • Lässt das Konzept auch Ergebnisse des Beteiligungsprozesses zu, die nicht eingeplant sind? – Die Themenreihen sind flexibel und werden nach Bedürfnissen angepasst. Es ist jedoch wichtig, die verschiedenen Bevölkerungs- und Altersgruppen sowie kultursensible Ernährung zu berücksichtigen. 
  • Welche Mittel (Zeit, Personal, Finanzen, Sachmittel) stehen zur Verfügung, um die Beteiligungsprozesse zu organisieren? – Die Mittel sind abhängig von Projektmitteln, Krankenkassen oder werden eigenfinanziert. 
  • Was bedeutet Gesundheit für Sie im Rahmen Ihrer Arbeit und der Betreuung des Ellener Hof? – Gesundheit bedeutet Unbeschwertheit, Freiheit, Glück, Leben, Dankbarkeit, frei sein von Schmerz, sowie Integration. 
Abb. 03: Freiraumgestaltung des Ellener Hofs, eigene Aufnahme
Abb. 03: Freiraumgestaltung des Ellener Hofs, eigene Aufnahme
Abb. 04: Broschüre für Gesundheitsangebote, eigene Aufnahme
Abb. 04: Broschüre für Gesundheitsangebote, eigene Aufnahme

Fazit

Bei unserem Besuch vor Ort haben wir schnell festgestellt, dass, zwischen dem Online-Auftritt und dem aktuellen Zustand des Quartiers noch große Differenzen herrschen. Die im Internet veröffentlichten Bilder, Visualisierungen und Informationen sind sehr vielversprechend, erzeugen große Erwartungen und deuten auf ein schon bestehendes und funktionierendes Quartier hin. Zum jetzigen Zeitpunkt waren wir bei unserem Besuch ein wenig enttäuscht zu sehen, wie viel im Quartier noch fehlt, um die dargestellte Atmosphäre wahrnehmen zu können – weshalb wir uns die Frage gestellt haben, ob die aktuelle Online-Präsenz zu vielversprechend ist, sich das Quartier zu viel zumutet und/oder ob es in der Realität so umgesetzt werden kann? 

Nach dem Online-Auftritt zu urteilen, scheint der Ellener Hof jedoch ein gutes Beispiel aufzuzeigen, wie Gesundheit im urbanen Umfeld auf Quartiersebene ganzheitlich gefördert werden kann. Die Förderung erfolgt durch eine integrierte Planung, die soziale Interaktion, Gemeinschaftsprojekte und den Dialog mit verschiedenen Akteuren einschließt, um das Wohlbefinden der Bewohner zu verbessern. Die geplante Vielfalt an Angeboten, von Freizeitbeschäftigungen über Gemeinschaftsgärten bis hin zu Gesundheitswerkstätten, zeigt einen innovativen Ansatz zur Gesundheitsförderung auf Quartiersebene. Zudem spielt die informative Kommunikation zwischen dem Quartiersmanagement und den Bewohnenden eine entscheidende Rolle, indem sie über Veranstaltungen, Möglichkeiten und den Zugang zu Grünflächen informiert. Offen bleibt, ob das Quartier Ellener Hof die theoretischen Ansätze in der (nahen) Zukunft auch in der Realität halten bzw. umsetzen kann. 

Aus dem Interview konnten wir mitnehmen, dass es auf jeden Fall wichtig ist, Gesundheit „kleiner“ zu denken, nämlich auf Quartiersebene – insbesondere mit Blick auf die ältere Bevölkerung, bei der der Radius für Aktivitäten tendenziell kleiner wird. Die Betrachtung von Gesundheit sollte sich an die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen anpassen. Trotz der noch andauernden Fertigstellungsphase betont die Betrachtung von Gesundheit im Ellener Hof die Bedeutung von Flexibilität, offener Kommunikation und kontinuierlicher Anpassung an die Bedürfnisse der Bewohner. 

Abb. 05: Innenhof und Erschließung, eigene Aufnahme
Abb. 05: Innenhof und Erschließung, eigene Aufnahme

Literatur

1 Gesundheit.gv.at, Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs (ohne Datum): Gesundheit, https://www.gesundheit.gv.at/ lexikon/G/gesundheit.html.  Zugriff am 31.01.2024.   

2 Umweltbundesamt: Ausschuss für Innenraumrichtwerte, https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/ kommissionen-arbeitsgruppen/ausschuss-fuer-innenraumrichtwerte#richtwerte-fur-die-innenraumluft. Zugriff am 29.03.2024 

3 Fabian, Carlo; Drilling, Matthias; Niermann, Oliver; Schnur, Olaf (Hrsg.): Quartier und Gesundheit, Impulse zu einem Querschnittsthema in Wissenschaft, Politik und Praxis, Reihe: Quartiersforschung, Wiesbaden: SpringerVS, 2016, S. 62. 

4 Ebd. S. 79. 

5 Ebd. S. 25, 26, 109. 

6 Stadtleben Ellener Hof (SLEH) (ohne Datum): Über uns, https://stadtleben-ellenerhof.de/ueber-uns/. Zugriff am 21.03.2024.  

7 Bremer Heimstiftung und Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr (Hrsg.) (2018): Gestaltungshandbuch Stiftungsdorf Ellener Hof. Bremen, https://www.bremer-heimstiftung.de/fileadmin/uploads/Infos-eigene/Gestaltungshandbuch_Ellener-Hof.pdf, S. 8.  

8 Ebd. S. 6. 

9 Ebd. S. 5.

10 Ebd. S. 9.

11 Ebd. S. 11. 

12 Stadtleben Ellener Hof (2023): Unser Leitbild: „Wir“ im sozial-ökologischen Modellquartier Stadtleben Ellener Hof, https:// stadtleben-ellenerhof.de/wp-content/uploads/2023/09/20230919_Leitbild-SLEH_final.pdf.  Zugriff am 10.02.2024. 

13 Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH (ohne Datum): Das Leibniz Living Lab – Gesundheitswerkstatt Osterholz, https://www.gesundheitswerkstatt-osterholz.de/die-gesundheitswerkstatt.html.. Zugriff am 10.02.2024. 

14 Bremer Heimstiftung (ohne Datum): Werkstatt Alter – Gesundheitskompetenzen stärken, https://www.bremer-heimstiftung.de/gesundheit/werkstatt-alter. Zugriff am 10.02.2024. 


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