Prinzip des Gärtnerns auf das Bauen übertragen

Das Prinzip des Gartens bzw. des Gärtnerns als kulturelle Praxis bedeutet in regionalen Kreisläufen denken und handeln (siehe auch Beitrag von Kenneth Anders, “ Die Welt als Garten – eine Utopie? in diesem Blog) . Doch die Suche nach den Ursachen des Klimawandels zeigt deutlich, dass im Maßstab globalisierter Wirtschaftskreisläufe und Stoffströme der regionale Bezug aktuell kaum noch eine Rolle spielt; unzählige Beispiele lassen sich dazu benennen, die Produktion von Lebensmitteln, die Gewinnung von Rohstoffen für Wirtschaft und Bauindustrie, die Tourismusbranche, die Textilindustrie etc. (ein erstes Umdenken ausgelöst durch die Corona-Krise und die damit gestörten Kreisläufe, zeigt sich bereits z. B. durch den european green deal, die Initiative des New European Bauhaus oder den amerikanischen inflation reduction act).

Einer der größten Veränderungseffekte ließe sich allerdings durch eine neue Baupraxis erzielen, so stellt z.B. SOBECK (Gründer, Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren, Stuttgart) fest, dass 53 % des CO2-Ausstoßes mit dem Bauen verbunden sind. Hinzu kommt, dass ca. 50% des weltweiten Abfalls und mehr als 35% des weltweiten Energieverbrauchs auf das Bauen entfallen. Darüber hinaus übersteigt die durch unser weltweites Wirtschaften erzeugte Masse an künstlichen Produkten (wie Beton, Asphalt oder Plastik) die inzwischen verbleibende lebende Biomasse auf unserem Planeten (Schellnhuber, Direktor, Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Mitglied des Wiss. Beirates der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen).

Doch eine einfache Lösung gibt es nicht. Bestehende Zertifizierungssysteme wie DGNB, LEED, BREAM o. ä. greifen u. a. mit Blick auf den regionalen Bezug von Rohstoffen noch zu kurz. Neben der Rückbesinnung auf regional verfügbare Ressourcen an Baustoffen müssen weitere Aspekte wie bspw. der differenzierte Einsatz von Baustoffen, die Verringerung der Wohnfläche pro Kopf, der Umgang mit dem Gebäudebestand und damit verbunden die Wiederverwendung von Bauteilen und Baustoffen (Cradle to cradle Prinzip) in eine ganzheitliche Auseinandersetzung einbezogen werden (vgl. auch Beiträge im Rahmen der FAKTOR WOHNEN ökologisch um:bauen der Stiftung Trias an den Standorten Hattingen, Leipzig, Essen, Coburg, Neustrelitz etc. unter www.faktor-wohnen.de):

  • Es reicht nicht, beim Neubau Stahlbeton bspw. durch Holz zu ersetzen. Einerseits, weil Holz nicht in den erforderlichen Mengen verfügbar wäre und andererseits, weil beim Fällen eines Baumes (z. B. durch Zersetzungsprozesse der Wurzelmasse im Boden) CO2 freigesetzt wird. Ein neugepflanzter Baum benötigt dagegen mind. 10 Jahre, um CO2 aus der Atmosphäre zu binden. Somit braucht es eine breite Anwendung unterschiedlicher natürlicher und gleichzeitig oft auch die Rückbesinnung auf lokal tradierte Baustoffe, wie Lehm, Stroh etc.
  • Die weitaus größere Ressource für das Bauen steckt in der bereits gebauten Stadt. Der Baukulturbericht 20/21 fordert einen Wandel von der Neubaukultur zur Umbaukultur. Die Verschwendung von Rohstoffen und deren Lagerung auf Deponien ist eine Verschwendung von Ressourcen und Energie. Diese Rohstoffe sind wie Reiner Nagel als neues Narrativ fordert, die „goldene Energie“ für das zukünftige Bauen.
  • In diesem Zusammenhang müssen die Sanierung und sinnvolle Klimaanpassung von Gebäuden (Klimafreundliches Heizen) als wichtige Bauaufgabe der Zukunft in die Umsetzung gebracht werden. Das neue GEG (in Kraft treten ab dem 01.01. 2024) kann dafür erste wichtige Anreize setzten. Doch um die Ziele des Klimaschutzgesetzes (Klimaneutralität bis 2045) zu erreichen, sind gleichzeitig die Sanierungsraten auf mindestens 2-2,5% pro Jahr auf einen deutlich besseren Standard (im Mittel Effizienzhaus 55) zu steigern (vgl. Umweltbundesamt). Doch auch hier braucht es eine Offenheit für verschiedene Lösungsansätze, vgl. Zitat Florian Nagler: Wir bauen nicht nur Niedrigenergiehäuser, sondern Nullenergiehäuser, Plusenergiehäuser und so weiter. Das ist oft mit einem sehr großen Einsatz von Technik verbunden. Taucht ein neues Problem auf, suchen wir nach der nächsten technischen Lösung – und reißen damit ein neues Loch. Wir sollten vielmehr darauf vertrauen, dass die Architektur und das Bauen auch selbst etwas können (Preis DAM 2021).
  • Auch die gezielte Umnutzung bestehender sog. Obsoleter Stadtbausteine/Typologien wie Kirchen, Friedhöfe, Parkgaragen ist bei einer kreislauforientierten ressourcenschonenden Weiterentwicklung von Städten und Gemeinden von grundlegender Bedeutung. (Stefan Rettich, Universität Kassel, Forschungsprojekt Obsolete Stadt)
  • Zudem wird deutlich, dass der technologische Fortschritt, zwar durch das Sparen von Heizenergie durch den Bau effizienterer Gebäude ermöglicht, doch durch einen steigenden Wohnflächenverbrauch pro Kopf neutralisiert wird. (vgl. Anja Bierwirth, Forschungsbereich Stadtwandel am Wuppertal Institut, BMBF gefördertes Projekt OptiWohn).

Die genannten Aspekte verweisen holzschnittartig auf die Komplexität und Vielschichtigkeit der anstehenden Aufgaben beim zukünftigen Bauen. Nachdem in den letzten sechs Monaten (u. a. nach Einstellung der KfW-Förderung für energieeffizienten Neubau sowie massiv gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten) der Wohnungsbau und-umbau fast vollständig zum Erliegen gekommen ist, ist die Chance zum Umsteuern gegeben. Wie an anderen Stellen schon gefordert wäre auch hier die Förderung des Experiments ein erster wichtiger Schritt, um herauszufinden, wo richtige Anreize gesetzt werden könnten.

Strohballenhausprojekt von Werner Erich, Büro für gesunde Architektur, Großkorbetha, Foto: Tanja Korzer

[Beitrag von Tanja Korzer, LG Mitteldeutschland]

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